Michael Schindhelm | „ROMANCE DANS LE GOLFE“

„Romance dans le Golfe“

Es gibt sicherlich sehr viele Moeglichkeiten, Kulturmanager voneinander zu unterscheiden. Zum Beispiel in Kuenstler und Nicht-Kuenstler. In erfolgreiche und erfolglose, extravertierte und introvertierte, Durch-die-Instanzen-Marschierer und Quereinsteiger etc. Wenn es ums Geld geht, gibt es ausschliesslich zwei Kategorien: risikoscheue und risikofreudige Kulturmanager. Stellen Sie sich vor, Sie bekommen das Angebot, einen Kulturbetrieb zu uebernehmen, etwa in Zuerich, und der Businessplan sieht einen Eigenerwirtschaftungsgrad von 30 % vor. Die uebliche Rentabilitaetsrate in dieser Branche liegt aber bei nur 20 %. Nun ist die betreffende Kunstform gerade besonders populaer und Zuerich eine Stadt, die hoehere Einnahmen verspricht als andere. Trotzdem stellt sich die Frage: zusagen oder nicht? Gehen wir mal davon aus, der Kandidat befindet sich in einem ungekuendigten Arbeitsverhaeltnis und liebt den Job, den er gerade macht. Der neue hat aber auch seine Reize. Ein risikoscheuer Kulturmanager wird absagen und bleiben, wo er ist. Ein risikofreudiger stattdessen wird den Wechsel nach Zuerich wagen.

Es waere allerdings unfaehr, Leute, also auch Kulturmanager, grundsaetzlich als feige oder abenteuerlustig einzustufen. Fuer Viele ist der Risikopegel, den man akzeptiert, keine ein fuer alle Mal gegebene Groesse. Er haengt zum Beispiel von der allgemeinen Lage ab (Geht es der Wirtschaft gut, der Kunst, mit der man sich beschaeftigt etc), aber auch von der persoenlichen Disposition (will ich etwas Neues, traue ich mir eine Herausforderung zu etc) und schliesslich von dem Projekt selbst.

Als ich im September 1994 einen Anruf aus Basel bekam und gefragt wurde, ob ich mir vorstellen koenne, das dortige Theater zu uebernehmen, gingen mir zunaechst die aktuellen Nachrichten aus dem Feuilleton durch den Kopf. Man hatte vor kurzem den gerade erst neu bestellten Direktor wegen Unfaehgkeit in den Wind geschickt, allerdings mit einer Abfindung von ca 1 Million Franken. Der Mann hatte nicht nur Schulden hinterlassen, sondern auch einer angekuendigen Einsparung der Mittel um 30 % zugestimmt. Ich sass zu diesem Zeitpunkt in einem mittelgrossen Theater in Ostdeutschland und fand das Angebot interessant. Ein neues Abenteuer, nachdem ich in den fuenf Jahren deutscher Einheit, die hinter mir lagen, ein Abenteuer nach dem anderen erlebt hatte.

Natuerlich habe ich nicht einfach die Schulden uebernommen und die Sparmassnahmen akzeptiert. Ich habe stattdessen hart gekaempft und mit dem Grossen Rat von Basel-Stadt (einer damals ueber vierzig Sitzungen abhaltenden Theatersubventionskommission) verhandelt und die Kuerzungen schliesslich zeitlich um zwei Jahre hinauszoegern und auf 15 % drosseln koennen. Dann folgten zehn ziemlich glueckliche Jahre, in denen es moeglich war, einen effizient ausgerichteten Betrieb, der nie im Geld geschwommen ist, aber auch nicht hungern musste, kuenstlerisch so risikofreudig wie moeglich zu fuehren. Wir haben sogar ein neues Schauspielhaus bauen koennen, mit der Hilfe zunaechst von acht anonym gebliebenen Baslerinnen, die insgesamt 13.5 Millionen spendeten, dann von ueber tausend Theaterfreunden, die den Betrag auf 23 Millionen erhoehten.

Gut zehn Jahre nach dem denkwuerdigen ersten Anruf aus Basel begannen Gespraeche mit dem Kultursenator von Berlin zur Uebernahme der Generaldirektion der gerade beschlossenen Stiftung Oper in Berlin, unter deren Dach alle drei Berliner Opernhaeuser zu einem Betrieb mit gemeinsamer Wirtschaftsfuehrung und koordinierter Spieplanung zusammengefasst werden sollten. Natuerlich war diese Stiftung nicht gegruendet worden, weil so etwas Spass macht. Die Opernhaeuser sollten in den folgenden Jahren 16 Millionen Euro einsparen, fast 15 % ihres Etats. Nun ist Berlin nicht Basel, die 15 % wuerden sehr weh tun; den Opernleuten, dem Publikum, der Politik. Das Projekt einer Neugestaltung – seit mindestens 10 Jahren kulturpolitisches Dauerthema in der deutschen Hauptstadt und irgendwie in Deutschland ueberhaupt – wuerde nun vielleicht gelingen, aber nur unter der Voraussetzung, dass der Generaldirektor grosse politische Unterstuetzung bekommen wuerde. Der Kultursenator hatte sich in einem Augenblick gemeldet, als ich mich bereits entschieden hatte, meinen Vertrag in Basel 2006 zu beenden. Zehn gute Jahre waren genug. Vielleicht war es ein bisschen Heimweh, vielleicht einfach Sentimentalitaet, die mir die Vorstellung eingab, Berlin sei die richtige (und wahrscheinlich einzig moegliche) Stadt in Deutschland fuer mich, und die Stiftung das naechste grosse Abenteuer.

Tatsaechlich wuerde ich auch heute noch sagen, dass die Einsparungen nicht nur moeglich gewesen waeren, sondern sogar zur Gesundung und moeglicherweise Qualitaetsverbesserung der Produktion an den Berliner Opern haette beitragen koennen. Nicht, dass die Berliner Opern grundsaetzlich zu viel Geld gehabt haetten. Sie bekamen im Grunde weniger als viele der anderen grossen Haeuser (erst Recht in London, Wien oder Paris, aber sogar auch in Hamburg oder Stuttgart). Aber etwas stimmte in der Struktur nicht: Die beiden grossen Haeuser – die Deutsche Oper im Westteil der Stadt, einst vor dem Eisernen Vorhang erbaut zum Zeichen der Freiheit abendlaendischer Kultur , und die Staatsoper Unter den Linden, seit der Einheit wieder zum foederalen Parkett von Politik und Wirtschaft avanciert – machten im Grunde einander das Leben schwer. Ihre Repertoires waren einander zu aehnlich, die jeweiligen Ansprueche, die Nummer 1 in der Stadt zu sein, kontraproduktiv, das Berliner Publikum fuer zweimal grosse Oper zu klein. Das Haus im Westen litt unter Prestigeverlust (wie der Westen insgesamt), mangelndem Geld und mangelnder kuenstlerischer Prominenz.

Es haette also in der Arbeit der Stiftung nicht um eine lineare Einsparung gehen duerfen, sondern um eine Neuprofilierung der Haeuser und ihrer Inhalte. Das ist natuerlich schwer, in Traditionsbetrieben wie Opern sowieso. Aber sind nicht viele Traditionen in den letzten zwanzig Jahren in Berlin auf den Pruefstand gekommen..? Es haette sich gelohnt, auch fuer die Oper einen Neuanfang zu wagen. – Es sollte nicht sein, uebrigens bis heute nicht. Diesmal hatte ich die Risiken falsch eingeschaetzt, vor allem, dass das Hauptrisiko die Regierung war, die mich nach Berlin geholt hatte. Den Rest – meine Auseinandersetzung mit dem Regierenden Buergermeister und mein Ausscheiden nach nur gut eineinhalb Jahren – werden Sie kennen.

Obwohl meine Risikofreudigkeit in Berlin bestraft worden ist, habe ich im Anschluss keinen Grund darin gesehen, in Zukunft beruflich auf Nummer sicher zu gehen. Es war jedoch interessant zu sehen, wieviel Beifall ich aus anderen deutschen Staedten fuer meinen Schritt, mein Amt in Berlin niederzulegen, bekam. Es ist beunruhigend billig, in Deutschland Zustimmung zu ernten, wenn man Berlin und insbesondere seinem Buergermeister den Ruecken kehrt. Dementsprechend haette ich wahrscheinlich auch ein anderes Opernhaus oder Theater irgendwo in deutschsprachigen Landen gefunden, mit sicheren Finanzen, politischer Unterstuetzung und in ruhigem Fahrwasser.

Stattdessen folgte ich einer Einladung nach Dubai. Und ich ahnte, soviel Risiko war nie. Ich hatte in mehrere Hinsicht das Ufer gewechselt: von der abendlaendischen in einer orientalische Kultur zum Beispiel, oder von einer Welt, in der oeffentliche Foerderung selbstverstaendlich ist, in eine Welt, in der bis vor kurzem selbst die Regierung wie eine Unternehmen organisisert war. Immerhin hatte mich – von Regierungsseite beauftragt, ein Opernhaus zu errichten – eine staatliche Bauinvestmentfirma eingeladen, ihr bei dieser Unternehmung beratend zur Seite zu stehen. Schon der Arbeitgeber war also ungewoehnlich. Zwar beteuerten die Leute am Golf, sie seien sich darueber im Klaren, dass Oper viel Geld kostet, nicht nur der Bau selbst (in diesem Falle sogar von Zaha Hadid entworfen), sondern auch der Betrieb. Aber niemand haette mir zu diesem Zeitpunkt sagen koennen, wo das Geld fuer Vorstellungen, Personal etc her kommen wuerde. Natuerlich ist man in einer Umgebung wie Dubai geneigt anzunehmen, Geld spiele keine Rolle. Ich blieb dennoch vorsichtig, bis heute. Es hat sich naemlich sehr bald gezeigt, dass Geld unter Umstaenden zwar in grosser Menge vorhanden ist, allerdings muessen die Umstaende so aussehen, dass am Ende dabei noch mehr Geld aus der Unternehmung heraus kommt.

In den folgenden zwei Jahren seit meinem Anfang in Dubai habe ich interessante Beobachtungen dazu machen koennen, wie im Mittleren Osten Kunst und Kommerz eine seltsame Balzerei umeinander angefangen haben, ohne einander wirklich zu lieben. Es sind Beobachtungen, die nicht nur den Mangel an Kulturverstaendnis in der arabischen Welt am Golf widerspiegeln, sondern auch mangelndes Kulturverstaendnis bei internationalen Kuenstlern, Kulturagenten, Diplomaten, Journalisten oder Organisationen. Die Geschichte der grossen Kulturinitiative am Golf ist nicht ausschliesslich, aber unter anderem die Geschichte eines Kulturmissverstaendnisses. Und deshalb lohnt es sich, auch auf einer Tagung im schoenen Thun, durch das einst Clara Schumann mit Brahms Hand in Hand gegangen sind, von dieser West-Meets-Middle East-Romanze zu reden. Mag sie auch voll von Kitsch und Verlogenheit sein, sie berichtet von einem neuen Kapitel des Kulturaustausches, wenn nicht der Kulturgeschichte.

Und das Kapitel ist noch jung und unabgeschlossen. Begonnen hat es offiziell vor zwei Jahren, als unsere Nachbarn in Abu Dhabi den internationlen Kulturbetrieb mit der Nachricht aufgescheucht haben, in der Hauptstadt einen Ableger des Louvre und eine Filiale der Guggenheim eroeffnen zu wollen. Meldungen ueber unvorstellbare Finanzbetraege (angesichts derer die Waehrung zu einem unbedeutenden Anhaengsel wurde) und die Namen von Stararchitekten und deren Modelle gingen um den Feuilleton-Globus. Die westliche Welt hatte bis dato den Mittleren Osten als Produzenten von Oel, Markt fuer schnelle Autos, Brustaette von Al Qaeda und Heimat verschleierter, kulturell angeblich vormoderner Menschen betrachtet. Die Ankuendigung von Abu Dhabi hat einen Riss verursacht in diesem fuer Jahrzehnte zuverlaessigen Weltbild. Die Scheichs wollen nicht nur unser Geld (Oel), nicht nur unsere Autos (wieder Oel), jetzt wollen sie auch noch unsere Kunst (nochmal Oel)!

Der Tumult, der darauf vor allem in Frankreich losbrach und in der Anklage gipfelte, die Regierung organisiere den Ausverkauf der Kultur, hat nicht lange vorgehalten. Bald entdecken die beguenstigten Institutionen, dass man seine eigenen Haushalte aufbessern und Werke, die man sowieso nur im Depot hat, einer neuen Klientel zeigen koenne, kaeme man mit den “Arabern” ins Geschaeft. Viele der Nichtbeguenstigten denken darueber nach, wie sie auf sich aufmerksam machen koennten. Europas Kulturplattformen (zum Beispiel Messen und Festivals) halten Foren zum Thema Middle East ab, man publiziert erste Studien, spekuliert ueber die Tragweite des Exportes etc. Galerien erwaegen Dependancen am Golf. Logistikunternehmen und Versicherungen bieten Serviceleistungen an. Die Briten und Amerikaner sind ja eh schon in der Gegend (Doha).

“Die Wueste”, anfangs noch ausschliesslich als Terminus Technicus fuer den Ort totaler und ewiger Kulturabwesenheit benutzt, wandelt sich allmaehlich in eine grosse freundliche, unschuldige Sandflaeche, unter der fuer ein weiteres Jahrhundert weltweit begehrte Schaetze lagern und in die man ungestoert die Insignien unserer Hochkultur einzeichnen kann. Die westliche Projektion wechselt von negativ zu positiv. Aus der Leere wird Offenheit, aus der Todeshitze Lebenslicht. Man spricht zwar nicht gross darueber, laesst aber der betriebsinternen Phantasie ihre Leidenschaft: Wieviel einfacher muss es doch sein, in einer Welt, die noch jungfraeulich ist, wie am ersten Tag, die keine Tradition, kein Erbe kennt, keine Kulturvoraussetzung hat, noch einmal neu anzufangen…!

Wie dieser Neuanfang aussehen koennte, liesse sich leicht aus den Einsendungen erschliessen, die ich taeglich ins Dubaier Buero zugesandt bekomme: die Golfregion als Zwischenlagerstaette und Recyclingdepot fuer das, was bei uns zu Hause nicht gebraucht worden oder unbezahlbar geworden ist. Das Wort “Kitsch” stammt moeglicherweise vom jiddischen “Verkitschen” ab, was soviel bedeutet, wie jemandem etwas Unnoetiges oder Minderwertiges andrehen. Und so erlebe ich taeglich den Kitsch of cultures: Blaettere durch Fotoalben, in denen Eisskulpturen in der Gestalt des Herrschers Scheich Mohammed oder des Burj Al Arab abgebildet sind; technische Zeichnungen fuer unterirdische Unterhaltungslabyrinthe, in denen das Dasein von Computerviren erzaehlt werden soll; praechtige Bildbaende ueber Alte und Neue Meister, deren Werke gerade auf dem Markt zu haben sind; Szenenfotos von Auffuehrungen zu Sindbad und Saladin, die erfolgreich in Brasilien oder China touren etc. Und immer wieder Bewerbungen, Bewerbungen von Kuratoren, ehemaligen Sekretaerinnen von Rockstars, Beleuchtungsexperten, Inhabern grosser Dinosauriersammlungen und Erfindern von ausgefallenen “Kunstwelt”-Reisen auf der Queen Elizabeth. Wenn es nicht so anstrengend waere, man koennte tatsaechlich stolz sein ueber soviel ueberschuessige Kreativitaet im Westen, jenen Laendern, die gern von sich behaupten, sie seien muede, unbeweglich, ideenarm und ueberhaupt arm geworden, und die Post ginge jetzt in den neuen Schwellenlaendern ab.

Wenn man genau hinschaut, hat es den Anschein, der Kulturbetrieb sei in zwei Lager geteilt: die Befuerworter des Kulturexports und die Gegner. Es mag eine Taeuschung sein, aber mir kommt es so vor, als seien die ehemaligen Kolonialmaechte im ersten, Laender wie Deutschland im zweiten Lager. Zumindest mit Blick auf oeffentliche Institutionen und den allgemeinen Tenor der oeffentlichen Meinung. London und Paris haben laengst ja gesagt, Berlin traut sich nicht richtig.

Die mir am haeufigsten von deutschen (und fast nur von deutschen) Medien gestellte Frage lautet: Darf man fuer diese Leute dort arbeiten? Eine Clique von am Oel superreich Gewordenen, die Gastarbeiter aus Asien zu Hunderttausenden ins Land holen, selbst bei irrsinnigen Aussentemperaturen auf Baugeruesten zweihundert Meter ueber dem Sandboden arbeiten lassen, sie in miesen Wohnlagern zusammenpferchen und mit niedrigen Loehnen abfinden? Die fuer gigantische, zahllose Klimaanlagen Energie verschleissen, Unmengen Meereswasser entsalzen, in die natuerliche Kuestenoekologie eingreifen lassen und damit das Unmweltgleichgewicht rigoros durcheinanderbringen? Die Internetseiten nach Belieben blockieren, wenn diese relevante Kritik am System verbreiten, Homosexualitaet und Liebesbeziehungen ausserhalb der Ehe unter Strafe stellen, waehrend sie sich ihre Kurtisanen halten und Luxusprostitution protegieren? DARF MAN IN EIN SOLCHES LAND GEHEN UND SICH VORNEHMEN, AM AUFBAU VON KUNST UND KULTUR MITZUWIRKEN?

Und so sieht die inzwischen vertraute Dramaturgie fuer ein Mediengespraech mit einem deutschen Journalisten aus: Der erste Anruf erfolgt an einem Freitag (in Dubai heiliger Freiertag) nach 18 Uhr (Zeitverschiebung vergessen). Man wolle ueber meine Milliardenprojekte mit mir sprechen. Ob man auch Bilder von den Baustellen machen und den Herrscher sprechen koenne? Ich daempfe Erwartungen und versuche das zu kompensieren, indem ich mich vor allem selbst zur Verfuegung stelle. Auch (aus Erfahrung) davor warne, ohne Drehgenehmigung eine Reise zu planen, und darauf aufmerksam mache, dass die Erteilung von Genehmigungen zwei Wochen dauern kann. Weitere Fragen drehen sich darum, wie man zwischen all den Baukraenen und Verkehrsstaus, Touristen und Gastarbeitern, diesem Ausbund an Unnatuerlichkeit (alles irgendwie richtig) ueberhaupt davon ausgehen koenne, dass Kulturentwicklung moeglich sei. Und wie gehen Sie mit den ueberheblichen Emiraties und ihrem Groessenwahn um? Und schon sitze ich in der Falle, spreche von dem Aufklaerungswillen des Herrschers und der Gefolgschaft seiner Untertanen auf dem Weg in eine tolerante und dennoch islamische Gesellschaft. Erinnere daran, mit welchen Nachbarn es die Leute hier unten zu tun haben und dass es nicht einfach sei, in einer derart explosiv gemischten und irgendwie immer dem Extremismus zuneigenden Umgebung Weltoffenheit zu vertreten. Der Frager insistiert, dass wir uns in einer Diktatur befinden und wir von Zensur umgeben seien (wieder richtig), und ich sage (wahrheitsgemaess), dass wir bislang keine Behinderungen erfahren haben, aber wohl wuessten, dass solche kommen werden und derartige Auseinandersetzungen eben dazugehoerten, wenn man eine Gesellschaft veraendern wolle. Im uebrigen muessten wir auch in unseren Laendern darueber nachdenken, wie wir mit den unterscheidlichen kutlturellen und religioesen Werten wachsender Minderheiten in der Oeffentlichkeit umgehen wollten. Und wenn ich mich dann an irgendeiner Stelle auch noch dazu hinreissen lasse, die Ambitionen der Herrscher am Golf mit der Kulturgeschichte Europas waehrend des Barocks und der Aufklaerung zu vergleichen, habe ich endgueltig den Bogen ueberspannt. Was ist Phantasie, was Vorstellungskraft?

Denn meine Wirklichkeit in Dubai ist sehr anders als die eines Hoteliers oder Moderetailers. Und auch anders, als man sie sich wuenscht: Der Chairman jener Firma zum Beispiel, die mich zuerst nach Dubai eingeladen hat, war fuer mich schwerer ansprechbar als Angela Merkel, obwohl sich sein Buero nur zwanzig Meter von meinem entfernt befand. Bei unserem einzigen ernsthaften Gespraech ueber mein wichtigstes Projekt, den Aufbau eines Opernhauses (Grundflaeche 140 000 m2), das von Zaha Hadid entworfen worden war und seine Firma mehrere hundert Millionen Euro kosten sollte, fragte er mich, ob das Geschrei von jenem kleinen Dicken, der vor zwei Jahren im Hotel Madinat Jumeirah aufgetreten war (er meinte Pavarotti), Oper gewesen sei. Er habe King Lion in New York gesehen, und diese Oper habe ihm schon besser gefallen. Und dann stoerte ihn noch etwas anderes an dieser Oper: Warum ich nur 2 Buehnen haben wolle? Die Kinos der siebziger Jahre haetten denselben Fehler gemacht, und heute gebe es Multiplex… Seine Leute moegen mir mehrfach versichert haben, dass sie wissen, Kultur kostet Geld, der Chairman will auch mit der Oper am liebsten Geld machen. Also versucht er, das Projekt Oper zur Branding-Aufgabe umzufunktionieren: Kaufen sie sich eine Villa direkt neben dem Opernhaus. Die Kunst als wertsteigernder Faktor. Wehe dem, der behauptet, das sei eine Erfindung von geldbesessenen Arabern.

Hierzulande wird philosophisch beklagt, Kultur sei zur Ware geworden. In Dubai zeigt sich, dass das eine nostalgische Feststellung ist. Vor dem gerade stattfindenden grossen Bruch, der moeglicherweise auch das Verhaeltnis von Kunst und Geld nachhaltig veraendern wird (Ich spreche von der Rezession.), haben China, Indien und am radikalsten Dubai (im Gegensatz zu den im Grunde klassisch operierenden Nachbarn) gezeigt, welches Konzept der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts sich umzusetzen anschickt: die Entwicklung der Stadt als Massenprodukt und Massenmedium. Nicht Kultur ist die Ware, sondern die Stadt ist die Ware. Und Kultur ist ein moegliches Instrument, die Massenware Stadt effizient zu verkaufen.

Aber jetzt ist das Geld knapp geworden, und sogar jene Laender, deren schnelles Wachstum auf Bodenschaetzen beruht (wie Abu Dhabi oder Qatar), muessen mit dem Einsatz ihrer Mittel vosichtiger umgehen. Erst Recht Staedte wie Dubai. Eine so eminent globalisierte Metropole lebt heute mit enormen Zukunftsrisiken: Finanzdienstleistungen, Bauinvestment, Tourismus, Logistik – alles im Keller. Was heisst das fuer die Kultur? Habe ich ueberhaupt unter den Bedingungen der Finanzkrise eine Chance, Kultur aufzubauen? – Ich weiss es noch nicht. Aber auch am Golf scheint man zu begreifen, wie wichtig in Zeiten der Not soziale und kulturelle Werte sein koennen. Und diese Werte sind eindeutig unterentwickelt. Scheich Mohammed hat seine Leute zu Besonnenheit und Weisheit im Umgang mit der Krise aufgerufen. Die Karawane Dubai, zwei Jahrzehnte lang durch die Wueste gepeitscht, braucht eine Ruhepause. Zeit zum Nachdenken und Vergewissern, wie es weiter gehen soll.

Ich hoffe deshalb, in den kommenden Jahren mehr Unterstuetzung zu bekommen, um den demnaechst drei Millionen Einwohnern dieser Stadt, die aus ueber zweihundert Nationalitaeten kommen, dabei aus der Klemme zu helfen, was man ausser Essen, Trinken, Baden, Shoppen und (legalen und illegalen) Sex sonst mit seiner Freizeit anstellen kann. Wie man seinem Nachwuchs Alternativen zu Shrek und Tokio Hotel nahebringt und sich selbst besser unterhaelt als mit King Lion oder The Hulk.

Ich hoffe ausserdem, dass die Regierung von Dubai zu diesem Zweck nicht einfach die Kulturindustrie aus dem Westen importiert, denn wir sind dort nicht im Westen. Wir sind auch nicht in einem normalen muslimischen Land, also waere es nicht mit einer Rekapitulation islamischer Kunst und Werte getan. In dieser Stadt leben mehr Inder als Araber, und das Geld fuer all den Investitionszauber kommt nicht nur aus der Boerse des Herrschers, sondern vor allem aus dem Iran oder Saudi Arabien, China, Russland und Westeuropa. Die Stadt hat kulturell gesehen kein Vorbild.

Tatsaechlich kann der Aufbau von Museen und Theatern in dieser Region nicht ohne auslaendische Hilfe gehen. Wenn man davon ueberzeugt ist, dass Dubai solche Einrichtungen noetig hat, dann braucht man die richtigen Partner, vermutlich aus Europa. Wen fragen? Die Groessten, die Beruehmtesten, die Briten (weil hier am meisten verwurzelt und kulturell praegend), die Russen (weil sie sich jetzt mit geballter Macht am Golf festsetzen), die Italiener (weil der Scheich ein paar Mal von der arabischen Renaissance gesprochen hat)? Die Franzosen, die schon nebenan sind?

Oder vielleicht Sie? Kulturprofis aus Mitteleuropa? Menschen, die oft schon seit Jahrzehnten erfolgreich und oft auch subventionsgesichert kuenstlerische Betriebe leiten oder in ihnen arbeiten, in der Regel zum Wohle ihrer Kommunen und Regionen? Die Schweiz, Deutschland oder Oesterreich sind nach wie vor ein Eldorado an oeffentlich gefoerderter Kultur, gemessen an dem, was irgendwo da draussen los ist.

Es gibt allerdings zwei Probleme: Mitteleuropa ist sich dieses Reichtums nicht wirklich bewusst. Und der Sicherheit, die es geniesst, weil diese Kultur nicht aus dem Gemeinwesen zu eliminieren ist. Sie steht, die Kultur, mag es wirtschaftlich noch so schlecht gehen. Wie koennte sonst zum Beispiel eine bankrotte Stadt wie Berlin drei Opern und zehn Orchester finanzieren.

Das zweite Problem: Mitteleuropa ist nicht sehr optimistisch, weder im allgemeinen, noch, wenn es um den Reichtum seiner Kultur geht. Wir sind oft verdammt zu verwalten, anstatt zu gestalten. Es wird interessant sein zu sehen, ob die Krise, in der wir uns alle befinden, dabei hilft umzudenken. Gibt es zum Beispiel doch noch eine Chance fuer den Kulturbetrieb, die verknoecherten Denk- und Arbeitsstrukturen zu reformieren, ohne das System der finanzierten Kunstfreiheit infrage zu stellen? Nach dem letzten Krieg wurde in Berlin als eine der ersten Wiederaufbauinitiativen die Komische Oper gegruendet und die Staatsoper unter den Linden instand gesetzt. Die Leute, die mit der Wiederherstellung von Kulturbauten beschaeftigt waren, haben kaum zu essen gehabt. Sie wussten offenbar, sie hatten einen UNBEZAHLBAREN Reichtum fuer die Zukunft zu sichern. Wissen wir es?

Wie koennte man den Reichtum sichern? Da gibt es viele Aspekte: neue Wege bei der Kulturfinanzierung, dem Marketing und der Vermittlung sind gefragt. Andere Betriebsstrukturen. Das Bedenkliche an diesen Aspekten ist, dass wir sie schon sehr lange kennen und dennoch wenig umgesetzt haben. In manchen Faellen gab es gute Gruende, warum wir uns so schwer getan haben, Reformen energischer anzugehen. Die Forderung nach mehr unabhaengig von staatlicher Regulierung hat ja zwei Seiten: Mehr Freiheit bedeutet gegebenenfalls auch mehr Unsicherheit. Ein Blick auf die Lage der angelsaechsischen Kulturlandschaft seit dem Beginn der Rezession zeigt den gewaltigen Unterschied. Ja, die Metropolitan Opera oder das MOMA haben einen sehr beeindruckenden Eigenerwaitrtschaftsgrad und bekommen sehr wenig staatliche Unterstuetzung. Ein wesentlicher Teil ihrer Foerderung entstammt Donationen von Privatpersonen, die auf diesem Wege allerdings Steuern abschreiben und damit im Grunde eine indirekte oeffentliche Foerdung durchfuehren. Wird das Geld aber knapp, dann gibt es auch nichts mehr fuer die Kultur. Glenn Lowry oder Peter Gelb, die Chefs der beiden erwaehnten Institute, werden es in den kommenden Monaten schwer haben, ihre Einrichtungen durch die Rezession zu bringen. Dabei hilft Ihnen nicht unbedingt, dass sie hohe Eintrittspreise nehmen muessen, um ihre Eigeneinnahmen zu sichern…

Es koennte sein, wir stehen am Anfang von etwas, das wie eine Neuordnung der politischen und wirtschaftlichen Welt aussieht. Und deshalb kommt ein neuer Aspekt als sehr dringend hinzu: die globale Vernetzung. Was Nestle oder VW laengst erkannt haben, ist fuer staatlich gefoerderte und oft auch verwaltete Kulturorganisationen in Mitteleuropa oft noch neu: Die Welt ist gross, gierig und reich. Wenn du in ihr nicht untergehen willst, musst du sie erobern. Ich weiss, das klingt nach Imperialismus. Meinetwegen. Aber dann ist die Werbung um eine Frau, die man liebt, auch Imperialismus. Ich glaube, unsere Kulturbetriebe brauchen mehr Lust an dem Fremden. An der Welt draussen, die anders funktioniert und Kultur anders versteht und ermoeglicht. Sich mit diesem Fremden einzulassen, ist ein Risiko. Unsere Kultur braucht diese Lust auf das Risiko. Wer sich in narzisstischer Ergoetzung an der eigenen Schoenheit und Erlesenheit ergeht, laeuft Gefahr, morgen nicht mehr gekannt zu werden. Nur ein Beispiel: Wenn Sie Tim Walker anrufen, CEO des London Philharmonic, und ihn fragen, ob er in diesem Jahr noch einen Konzerttermin frei habe, dann wird er ihnen drei Termine nennen, und es besteht sogar noch die Moeglichkeit, Dirigent und Programm zu diskutieren. Rufen Sie bei einem deutschen Spitzenorchester an, wird man ihnen mitteilen, dass es eventuell Ende 2010 eine Moeglichkeit gibt, man das aber zunaechst mit den Gremien (zum Beispil dem Orchestervorstand) besprechen muesse. Eine Vorreise sei ausserdem noetig, bei der die Musiker ueber Fluggesellschaft und Hotel mitbestimmen. Das Programm steht natuerlich schon fest. Und das Ganze wuerde mit den Deutschen ungefaehr dreimal soviel kosten wie mit den Briten. Die Kunst liebt Diven, die sich rar machen. Das deutsche Spitzenorchester ist eine solche Diva, und wir lieben es auch fuer seine Extravaganzen. Aber man darf sich nicht wundern, dass international Staedte wie New York, Los Angeles, London, Paris, Mailand etc eher als Kulturstaedte betrachtet und anerkannt werden als irgendeine deutschsprachige Stadt. Wir wissen, das ist ungerecht. Die globale Welt ist eben so.

Tatsaechlich aber haette die Kunst aus unseren Laendern der Welt eine Menge mehr zu bieten als jene aus vielen sogenannten Welthauptstaedten. Vielleicht behindern Brands und Popularitaet sogar die Kreativitaet? Mehr als ein Fuenftel der erfolgreichsten lebenden Kuenstler kommt aus Deutschland (kein Land hat mehr), nur vier aus Frankreich. Und diese Zahl muss stimmen, ich habe sie in Le Monde gelesen.

Damit haette ich fast alles gesagt, was mir zum Thema Geld und Kunst im Moment einfaellt. Die Romanze am Golf, die globale Finanzkrise, der Kitsch zwischen Kommerz und Kunst, ich wuerde das alles als eine seltene Chance begreifen, fuer Menschen, die neugierig sind. Bestimmt wird es in der naechsten Zeit viel weniger Geld und Jobs geben. Aber die Kulturraeume sind groesser geworden. Das Beduerfnis nach neuen Formen des Austauschs zwischen Kulturen ebenso. Sicherheit macht aengstlich. Wir hatten viel Sicherheit in den letzten Jahrzehnten. Jetzt kommt die grosse Unsicherheit. Wir werden mit ihr nur fertig werden, wenn mit ihr der Mut waechst.

Erschienen im Juli 2009 in den Schweizer Monatsheften (französisch).

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