OUTLAND : Die Geschichte von internationalen Non-Konformisten im Tessin als Dokfilm
Das Tessin ist ein seltsamer Kanton. Mal als Sonnenstube verehrt, mal als Bananenrepublik verschrien, ist diese Landschaft in mancherlei Hinsicht anders als der Rest der Schweiz. Das liegt nicht nur an der Nähe zu Italien, sondern auch daran, dass das Tessin stärker abgeschnitten ist als andere Kantone von den politischen, ökonomischen und kulturellen Kraftzentren der Schweiz.
Gerade ihrer Rückständigkeit wegen galt und gilt die Region vielen Fremden als ein Refugium. Schon in früheren Jahrhunderten haben sich Leute hier vor Polizei und Geheimdienst versteckt und wurden toleriert. Später kam Bakunin und ihm folgten viele anarchische und rebellische Menschen aus den verschiedensten Ländern Europas (und auch den USA).
Das Tessin gilt auch als ein Elefantenfriedhof: Wie sich sterbende Elefanten an einen speziellen Ort begeben, um dort zu sterben, haben sich viele Künstler, Intellektuelle und Schöngeister in der letzten Lebensphase hier zusammengefunden.
Die wenigen Täler zwischen Gotthard und Chiasso haben über hundert Jahre lang die Rolle einer Parallelwelt und eines Refugiums gespielt. In diesem Zeitraum hat Europa zugleich eine seiner größten kulturellen Blüten erlebt (Moderne) und im Ergebnis der beiden Weltkriege seine heutige Form angenommen.
Das Tessin als ein Rückzugsort für wohlhabende Deutschschweizer und Deutsche sowie für italienische Steuerflüchtlinge ist zudem ein Klischee, das seit den Zeiten von Vico Torriani gepflegt wird. Aber was ist mit dem aktuellen Tessin? Welche Rolle spielen Ausländer heute im Süden der Schweiz, wo sind die Parallelen zu einst, wo die (drastischen) Unterschiede?
Längst ist das Tessin unter anderem der Fluchtort für Leute geworden, die den Zeitgeist des globalisierten Spätkapitalismus ablehnen und den technologischen Spielzeugen der Selbstoptimierungsindustrie misstrauen: eine neue Heimat für Aussteiger, Alternative, misfits. Für sie verkörpert das Tessin mehr als eine Landschaft oder einen Schweizer Kanton. Für sie ist diese Gegend so etwas wie ein State of Mind.
Der Film erzählt meine Version dieses State of Mind und versucht eine vielstimmige Antwort zu finden auf die Frage, warum kreative Menschen in der italienischen Schweiz Unterschlupf gesucht und gefunden haben bzw. ihn weiterhin finden.
Die heutigen Einwanderer mögen sich der Geschichte ihrer Vorgänger nicht immer bewusst sein, doch ist ihre Lebensanschauung in der einen oder anderen Form von jenen Anarchisten, Lebensreformern, Weltgrüblern oder Dada-Morphinisten beeinflusst worden.
Was liegt näher, als die Geschichte dieser Berühmten durch die Brille heutiger Menschen zu erzählen, die im Tessin leben und von dessen State of Mind inspiriert worden sind?
Eine besondere Bedeutung kommt Emmy Hennings und Hugo Ball zu. Deren tragisches und zugleich kurioses Schicksal im Tessin wird den Bezug zur Vergangenheit herstellen.
Produktion: Ventura Film
Autor und Regisseur: Michael Schindhelm
Kamera: Yawen Yeo-Schindhelm
Ton: Georgy Goncharov
Musiker und Darsteller: Jürg Kienberger
Komposition: Claudio Bucher
Schnitt: Stefano Cravero