Michael Schindhelm | DER TREUE PATE

Der treue Pate

Der weltweit wichtigste Sammler chinesischer Gegenwartskunst erfuellt eine selbstgewaehlte Mission und gibt seine Sammlung den Chinesen zurueck

Niemand bezweifelt, dass die Volksrepublik China die aufkommende Supermacht des 21. Jahrhunderts ist. Waehrend das Land fuer sein volkswirtschaftliches Powerplay weltweit gefuerchtet ist und bewundert wird, steht es fuer seinen Umgang mit den Menschenrechten oft am Pranger.

Insbesondere die Kunstszene hat sich zu einem Zentrum des regimekritischen China entwickelt. Der Schriftsteller und Nobelpreistraeger Liu Xiaobo und der Kuenstler Ai Weiwei sind globale Galionsfiguren des Protests geworden.
Doch kritische Kunst ist im Lande weiterhin nicht geduldet.

Ausgerechnet ein Schweizer, der Unternehmer und Diplomat Uli Sigg, ist im Besitz der groessten Sammlung chinesischer Gegenwartskunst weltweit und damit der vielleicht wichtigsten kollektiven Selbsterklaerung des modernen Chinas. 2200 Werke umfasst die Sammlung, und nur zweihundert wurden bislang in der Volksrepublik gezeigt.

Uli Sigg unterhaelt heute persoenliche Kontakte in die verschiedensten gesellschaftlichen Schichten des Reichs der Mitte wie ausser ihm vielleicht nur sehr wenige andere Auslaender aus dem Westen. Der heute Siebenundsechzigjaehrige war von 1995 bis 1998 Schweizer Botschafter fuer China, die Mongolei und Nordkorea.

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Vor allem aber hat Sigg das erste Joint Venture zwischen Rotchina und einem westlichen Konzern zustande gebracht und leitete von 1979 an fast zwoelf Jahre das Fahrstuhl-Unternehmen Schindler China. Es ist nicht uebertrieben zu behaupten, dass Sigg ganz persoenlich einen Anteil daran hat, dass und wie die heute aufkommenden Supermacht China den Kapitalismus adaptiert hat. Diese Erfahrung macht Sigg zu einem international anerkannten „Wirtschaftsweisen“ in Sachen China.

Fuer diese Erfahrung zahlte Sigg einen hohen Preis. Nicht viele Westler haben das gespenstische Leben der Zeit zwischen Maos Tod und dem Massaker am Tiananmen-Platz so nah miterlebt wie er. Kaum einer hat sich spaeter auf diplomatisch so heiklem Terrain bewegt wie Sigg, der einerseits an der Freilassung von Dissidenten beteiligt war und zugleich die ersten informellen Kunstaktionen und Ausstellungen besuchte. Schliesslich war er es, der Herzog & de Meuron nach China und mit Ai Weiwei zusammenbrachte und damit die Zusammenarbeit beim Olympiastadion ermoeglichte.

Sigg wurde jedoch fuer viele Kuenstler, darunter auch Ai, zu einem Mentor. Dem Vertrauen dieser Kuenstler hat er es zu verdanken, dass die Sammlung zustande kam. Zurecht haben sie in ihm eine Art Sachwalter gesehen, der sich ihre Mission zu eigen gemacht und eine grosse Zahl von Werken der chinesischen Gegenwartskunst  vor dem Vergessen, der Zerstoerung oder dem Ausverkauf durch den beschleunigten globalen Kunstmarkt bewahrt hat.

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Im Juni 2012 wurde die Sensationsnachricht bekannt, dass Uli Sigg einen grossen Teil seiner Sammlung dem erst in Planung begriffenen Museum fuer zeitgenoessische chinesische Kunst M+ in Hong Kong uebergeben wird. Gut 1500 Werke werden bis zur Eroeffnung des Museums von Schloss Mauensee bei Luzern, wo Uli Sigg heute lebt, nach Hong Kong wandern. M+ wird damit zu einem einzigartigen Zentrum chinesischer Gegenwartskunst. Sotheby’s schaetzte den Wert der den Eigentuemer wechselnden Werke auf ca 180 Mio Schweizer Franken. Sigg ueberliess die Sammlung dem Museum fuer zweiundzwanzig Millionen.

Waehrend die globale Kunstszene den Deal als gelungenen Schachzug der kosmopolitischen Metropole Hong Kong wertete, die – anders als der Rest der Volksrepublik – Meinungs- und Kunstfreiheit geniesst, mehrten sich aus Peking oder Schanghai kritische Stimmen. Sigg habe gar nicht die wirklich wichtigen Kuenstler gesammlt, wird etwa behauptet. Obwohl bislang nur wenige Werke in  den diversen, meist europaeischen Ausstellungen zu sehen sind und die meisten von ihnen noch im Lager von Mauensee schlummern, bewegt die Sammlung Sigg bereits die Gemueter.

Aber niemand kann bezweifeln, dass die Sammlung eine Reihe der prominentesten Vertreter dreier Generationen der chinesischen Kunst vereint: von Veteranen wie Yu Youhan ueber Stars wie Zeng Fanzhi, Wang Gyuanyi, Ai Weiwei und Zhang Xiaogang bis zu den juengeren wie Cao Fei und Qiu Xiaofei.

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Der Kunstsammler Sigg hat sich als Archivar und seine Sammlung als ein historisches Dokument verstanden. Tatsaechlich ist die chinesische Gegenwartskunst, wie sie sich in diesen Werken artikuliert, eine Art kollektives Psychoramm ueber eine dramatische soziale Transformation.

China spricht zu uns durch die Kunst aus dieser Sammlung. 2017 wird das Museum M+ in Hong Kong mit der Sigg Collection eroeffnet. Dann wird diese Kunst auch zu den Chinesen sprechen.

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