Talk am Monte Verita: Dazugehören und Fremdbleiben – Beobachtungen eines Keinheimischen im Tessin
Talk
Freitag, 3. Juni 2022, 19:30 Uhr
Kongress- und Kulturzentrum Monte Verità, Ascona
Einführung in das Thema
„Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren lebe ich in der Schweiz und immer an der Grenze. In Basel waren
es zwar noch ein paar hundert Meter nach Frankreich und Deutschland, aber seit fünfzehn Jahren trennt
uns allein der am Haus vorüberziehende Fluss von Ital ien. Die Brücke darüber ist ein Grenzposten.
Seitdem bin ich oft gefragt worden, warum ich ausgerechnet in dieser Gegend wohne. Immerhin hatte
ich zur selben Zeit auch in Berlin, London, Dubai und Hongkong gelebt. Trotzdem bin ich inzwischen in
diesem Mal cantone Dorf sogar heimatberechtigt. Warum? Vermutlich kennt jedermann (und jedefrau),
die sich irgendwann entschieden haben, ihre Zelte im Land ihrer Geburt abzubrechen und anderswo
aufzuschlagen, diesen Schwebezustand zwischen Dazugehören und Fremdbleibe n, der vielleicht die
Grundstimmung jeder Auswanderung darstellt. Wer der ursprüngli chen Heimat freiwillig (oder nicht) den
Rücken kehrt, verzichtet oft auf Gewissheiten, von deren Existenz er oder sie vor dem Auszug gar nichts
gewusst hat. Zum Beispiel di e unerschütterte Überzeugung, da zu sein, weil man eben immer da war.
Auch wenn man später irgendwo in der Ferne ein neues Wohnrecht erlangt, geht diese Überzeugung
rasch verloren. Man gewöhnt sich an eine neue Erkenntnis: den Um stand keinheimisch zu sein.
«Dazugehören und Fremdbleiben – Beobachtungen eines Keinheimischen im Tessin»