Michael Schindhelm | WAS TUN? AUSWAERTIGE KULTURPOLITIK IN DEUTSCHLAND BRAUCHT EINEN NEUEN KULTURBEGRIFF

Was tun? Auswaertige Kulturpolitik in Deutschland braucht einen neuen Kulturbegriff

Auswaertige Kulturarbeit beschraenkt sich nicht auf die Diplomatie, und sie beginnt zu Hause. Mit der Reform des Kulturbegriffs und einer Werteverstaendigung zwischen Kultur und Wirtschaft

Eine Umfrage der BBC vom vergangenen Mai in 25 Laendern hat ergeben, dass Deutschland gegenwaertig als das weltweit populaerste Land gilt. Das ist sowohl aus historischen wie aus aktuellen Gruenden ueberraschend. Seit siebzig Jahren ist das Image der Deutschen durch den Zivilisationsbruch des Holocaust verdunkelt. Aktuell hat der innereuropaeische Streit ueber die Zukunft des Euro und die wirtschaftliche Stabilitaet vor allem in den suedlichen Laendern des Kontinents antideutsche Ressentiments genaehrt. Trotzdem sind laut BBC zum Beispiel 81 Prozent der Franzosen und 68 Prozent der Spanier der Ueberzeugung, Deutschland habe einen ueberwegend positiven Einfluss auf die Welt.

Die BBC hat gleich eine Antwort fuer die derzeitige Popularitaet der Deutschen mitgeliefert, die weniger ueberrascht als das Ergebnis selbst. Es ist die Robustheit der deutschen Wirtschaft, die bewundert wird. Menschen in Ghana ebenso wie in China schaetzen Deutschland als einen verlaesslichen und wertvollen Handelspartner. Deutschland ist das Exportwunderland, auch in Zeiten der Krise.

Kunst und Kultur aus Deutschland scheinen bei den Bewertungen der BBC-Umfrage keine nennenswerte Rolle gespielt zu haben. Moeglicherweise wird auch niemand erwartet haben, dass die Berliner Philharmoniker oder die Programme des Goethe-Instituts bei allgemeinen Ratings dieser Art wahrgenommen werden. Popularitaet wird nicht durch Hoch-, sondern durch Populaerkultur geschaffen. Und darin ist Deutschland notorisch schwach. Man muss nicht gleich an Hollywood denken, um sich vorzustellen, wie die Populaerkultur eines Landes dazu beitraegt, seinen Lebensstil, seine Geschichte und Traditionen, die Mentalitaet seiner Menschen zu verbreiten und zu vermitteln. Italien hat Leonardo und La Dolce Vita, Frankreich hat den Eiffelturm, Dior und Daft Punk, Grossbritannien Swinging London, Diana und David Beckham.

Deutschland hat das Oktoberfest. Der wesentliche Rest der Kultur aus diesem Land richtet sich an interessierte Minderheiten.  Aber wer ist interessiert? Besonders problematisch ist es um die Literatur bestellt. Laut Angaben des Deutschen Boersenvereins sind beispielsweise etwa 8000 Fremdsprachenlizenzen fuer deutsche Buecher vergeben, jedoch 10700 Buecher aus dem Ausland eingekauft worden. Besonders drastisch ist das Verhaeltnis bei den beiden Hauptsprachen Englisch und Franzoesisch. Waehrend deutsche Verlage in 2011 fast 3000 literatische Titel aus den USA und Grossbritannien eingekauft haben, haben sie ganze 44 Titel in die umgekehrte Richtung verkauft. Ueber 300 Lizenzen aus der franzoesischen Literatur stehen 37 deutschen Werken gegenueber. Demzufolge ist das quantitative Interesse in Deutschland an englischsprachiger Literatur hundert Mal groesser als das der englischsprachigen Welt an der Literatur aus dem Lande Goethes und Herta Muellers. Aehnliche Verhaeltnisse liessen sich fuer Medien der Populaerkultur wie Kino oder Computerspiele berichten: Deutschland ist ein Kultur-Importland. Die Neugier der Deutschen an der Welt ist zu loben. Doch fuer eine hochglobalisierte Nation ist das Ungleichgewicht von Im- und Export ein Armutszeugnis.

Die Umfrage der BBC laesst vermuten, es bestuenden neuerdings Chancen fuer eine Verbesserung der Lage. Ein Land, dem man seiner wirtschaftlichen Zuverlaessigkeit wegen einen positiven Einfluss auf die Welt zutraut, ist auch anderweitig interessant. Dieses Interesse zu stimulieren und auf die Kunst und Kultur dieses Landes zu richten, ist Aufgabe einer alerten auswaertigen Kulturpolitik.

Sie beginnt und betrifft vor allem die Akteure zu Hause. Denn es besteht zwischen Kulturschaffenden, Institutionen und Konsumenten ein bedrueckender Konsens darueber, dass Kunst und Kultur aus Deutschland mehr oder minder ausschliesslich fuer die Menschen zu Hause da sind. Nach wie vor tun sich Kultureinrichtungen schwer, in Fremdsprachen zu kommunizieren. Das Kulturangebot richtet sich ueberwiegend an den heimischen Markt. Kultur in und aus Deutschland ist aber auch fuer die anderen.

Moegen sich in anderen Bereichen der Gesellschaft auch dramatische Veraenderungen vollziehen, der Kulturbegriff trennt hierzulande wie gehabt High und Low saeuberlich voneinander. Die Hochkultur erwartet staatliche Unterstuetzung, um sich vor dem Markt zu schuetzen. Kulturelle Eliten, an denen dieses Land reicher ist als fast jedes andere, halten populaere Kultur nach wie vor fuer degoutant. Das hat Tradition. Schon vor hundert Jahren hat der kriegsbegeisterte Thomas Mann die deutsche Kultur ueber die westliche „Civilisation“ erhoben. Dieser Duenkel hat sich aus Gruenden, die hier nicht diskutiert werden koennen, Generationen hindurch erhalten. Er ist Ausdruck jener deutschen Innerlichkeit, die uns zwar weltneugierig, aber auch weltscheu macht.

Populaere Kultur ist kommerziell. Da liegt fuer viele Akteure des Betriebs das Problem. Zwischen den Kauf- und den Kulturleuten besteht hier – trotz zahlreicher Kooperationen – ein lange gepflegtes gegenseitiges Misstrauen. Die Wirtschaft wirft der Hochkultur nicht nur insgeheim Schmarotzertum vor, die Hochkultur der Wirtschaft die angebliche moralische Skrupellosigkeit im Handel mit Staaten, die Menschenrechte missachten. Vertreter von multinationalen Unternehmen moegen in Aufsichtsgremien und Foerdervereinen von Kultureinrichtungen sitzen, die Erwartungen, die man aneinander hat, sind eher bescheiden.

Die Verantwortung sowohl fuer die deutsche Kulturdiplomatie als auch fuer die (Export)Wirtschaft hat in den letzten Jahren in den Haenden jener Partei gelegen, die nun aus dem Regierungsgeschaeft ausgeschieden ist. Man darf gespannt sein, ob es einer neuen Politik gelingen wird, der Kultur in und aus Deutschland zu Hause und im Ausland jene Popularitaet zu gewaehren, die sie verdient.

Neuen Kommentar hinterlassen