Kolumne 3 – gazeta.ru
Es gibt Frauen, die den Internationalen Frauentag nicht moegen. Wahrscheinlich ueberall auf der Welt. Andere wollen wenigstens an diesem Tag nicht von Maennern gelobt werden. Maenner missbrauchen den Frauentag. Einmal im Jahr feiern sie das andere Geschlecht, um es an den anderen 363 Tagen auszubeuten. Moeglicherweise haben diese Frauen Recht. Moeglicherweise ist das hier nicht der Moment fuer eine Laudatio, sondern eher fuer eine persoenliche, nichtrepraesentative Beobachtung.
Vor ein paar Tagen bin ich von einer Chauffeurin nach Sheremetyevo gefahren worden. Es kommt nicht oft vor, von einer Frau chauffiert zu werden. Meine Fahrerin geht auf die Sechzig zu. In der Firma habe sie zwei Kolleginnen, sagt sie mir. Und mindestens siebzig Kollegen. Sie kaeme gut aus mit den Maennern, und Autofahren sei nicht so schlecht. Frueher habe sie allerdings als Bereichsleiterin in einem Logistikbuero gearbeitet, bis das Unternehmen Stellen abgebaut habe. Am kommenden Donnerstag habe sie frei. Ich gebe zu, ich hatte nicht an den Frauentag gedacht. Der ist hier also immer noch ein oeffentlicher Feiertag! Das macht mich neugierig, und ich frage meine Fahrerin, wie sie den Tag verbringen wird. Sie winkt ab. Was soll sie schon machen. Also dringe ich nicht weiter in sie.
Wenn man im englisch- oder deutschsprachigen Google die Begriffe „Frau“ und „Russland“ eingibt, findet man unter den ersten Links Partnervermittlungen. Die Russinnen sind in Deutschland zum Beispiel weiter auf dem Vormarsch, heisst es auf einer Seite. Und ueberall kann man lesen: Russinnen sind lieb, treu, sinnlich. Wenn man ein bisschen laenger sucht, stoesst man auch auf Statistiken: Hinsichtlich der Vertretung von Frauen in nationalen Parlamenten liegt Russland zum Beispiel auf Platz 88, in bezug auf ihre Vertretung in der Regierung auf Rang 121.
Uebrigens ist der Frauentag wirklich international, und schaut man sich ein wenig in Sachen weltweite Gleichberechtigung um, erlebt man Ueberraschungen. Laut Global Gender Report des Weltwirtschaftsforums belegt Lesotho zum Beispiel auf der Weltrangliste Platz 8, Deutschland liegt fuenf Plaetze dahinter, die USA 11 und Frankreich schafft es nur auf Rang 45! Nach 20 Jahren Berlusconi, waehrend denen in Italiens Politik bevorzugt alte Luestlinge und Striptease-Taenzerinnen Karrriere gemacht haben, hat sich die Frauenbeschaeftigungsquote im Lande bei 46 % eingepegelt (die niedrigste in der EU), und in Sachen Gleichstellung liegt Italien hinter Bangladesch auf Platz 74.
Das Cliche von einer gerechteren Stellung der Frau in der westlichen Welt stimmt also nicht unbedingt. Zum Beispiel Dubai: Als ich fuer die Regierung von Scheich Mohammed gearbeitet habe, haben mich Leute in Europa oft skeptisch angeschaut. Fortschritt und Wohlstand, die Skyline und die Siebensternehotels, das ist ja alles schoen und gut, aber als Frau unter den Beduinen moechte man sich da nicht unbedingt vorstellen… Meine Frau, Fotografin, wurde in Paris auf dem Flughafen von den Beamten der Passkontrolle manchmal entgeistert angeschaut: Sie wolle wirklich ALLEIN nach Dubai fliegen? Ob sie denn keine Angst habe? Ihre Standardantwort, die die Beamten nicht weniger erstaunt hat: In Dubai sei sie jedenfalls sicherer als in Paris.
Tatsaechlich koennte man eine Menge Kritisches ueber Dubai sagen, besonders ueber die Stellung der Frau im Islam. Aber wussten Sie zum Beispiel, dass der Wirtschaftsminister der Vereinigten Arabischen Emirate eine Frau ist, die zuvor CEO des Containerhafens von Dubai – eines der groessten der Welt – gewesen ist? Dass im Falle einer Scheidung emiratischen Frauen in der Regel grosszuegigere soziale Sicherungen zugesprochen werden als in den meisten christlichen Laendern? Mein Team zum Aufbau einer Regierungsbehoerde fuer Kunst und Kultur bestand zu zwei Dritteln aus jungen Frauen zwischen 20 und 30. Ja, auch diese Frauen trugen die Abaya, das schwarze Nationalkostuem, aber das Kostuem war nach der raffiniertesten Mode von Dior oder Chanel gemacht, und unter der Abaya verbarg sich in der Regel eine willensstarke intelligente Frau, die neben ihrem Vollzeitjob manchmal auch schon eine eigene Familie mit Kindern zu managen hatten. Manche von ihnen sind mit mir nach Beijing oder Los Angeles gereist, um zu studieren, wie Museen oder Theater in diesen Staedten funktionieren, und Vereinbarungen zum Kulturaustausch mit Chinesen und Amerikanern zu diskutieren. Nach meinem Eindruck hatten diese Frauen oft aehnliche Erwartungen an Leben und Gesellschaft, aehnliche persoenliche und berufliche Interessen wie ihre Altersgenossinnen in London oder Berlin. Und lebten doch in einer anderen Welt.
Auf den ersten Bick koennte der auslaendische Besucher den Eindruck bekommen, dass die Dinge in Moskau gar nicht so anders liegen. Vermutlich drei Viertel der Studenten an dem Institut, an dem ich derzeit hier arbeite, sind Frauen. Das Gleiche gilt uebrigens fuer das Management von Strelka. Augenscheinlich sind Frauen in Sachen Architektur, Design und Medien erheblich leistungsstaerker als Maenner. Diese Frauen sind – wie ihre Kolleginnen in Dubai – zwischen 20 und 30, und auch ihre Interessen und Erwartungen sind eventuell nicht ganz andere als anderswo. Die Frage ist, was macht eine Gesellschaft wie Russland mit diesem talentierten weiblichen Nachwuchs? Welche Chancen werden diese Frauen haben, einen selbstbestimmten Weg zu gehen und ihren Beitrag dazu zu leisten, dass in diesem Land ein paar wesentliche Dinge in absehbarer Zukunft besser werden?
In einer nichtrepraesentativen Umfrage an unserem Forschungsstudio Urban Culture haben sechs Studentinnen und die Mutter einer von ihnen eine interessante Meinungsvielfalt zutage gefoerdert: Eine Haelfte befand die Lage der russischen Frau auf dem Wege der Besserung, die andere will daran nicht glauben. Auch die Mutter schien optimistisch. Das mag Zufall sein. Von Vergleichen mit anderen Laendern wollten die meisten Befragten jedenfalls nichts wissen. Wir sind anders, sagen sie. Eine volle Gleichstellung wird es nicht geben. Nicht einmal darueber, ob es ein Problem mit der Gleichstellung gibt, war man sich einig.
Geht es den jungen russischen Frauen besser oder schlechter als der Generation ihrer Muetter?
Zugegeben, auch 1979 an der Staatlichen Universitaet von Voronezh war ich in meinem Jahrgang vor allem von Frauen umgeben. 75 Prozent meiner Kollegen waren vom anderen Geschlecht: Nadja, Mascha, Lena, Komsomolzinnen, die sich manchmal in der Pause spontan unterhakten und im Hoersaal zu singen anfingen. Die die besten Laborapparaturen bauten und weder Subbotnik noch Kartoffelernte schwaenzten. Es gab ein paar Dozentinnen, aber Professorinnen gab es kaum. Dafuer reparierten Frauen auch bei zwanzig Grad unter Null die Tramschienen, und viele hatten sich zu Hause um einen alkoholkranken Mann zu kuemmern.
Ich selbst hatte in Voronesch nicht viel uebrig fuer Apparaturen und mich spaeter deshalb fuer eine theoretische Wissenschaft entschieden, wo man ohne Laborexperimente auskam. Ich bin selten zum Subbotnik erschienen, und Kartoffelernte kam schon gar nicht infrage. Nadja und ihre Kommilitoninnen waren auch nicht alles Superweiber. Aber die Frage, was einmal aus ihnen wird, hat mich schon damals irgendwie beschaeftigt. Eine Antwort habe ich darauf nicht gefunden, und wenn ich mich heute umschaue, kann ich nicht erkennen, dass die aktuelle russische Gesellschaft von Politikerinnen und Topmanagerinnen bestimmt wird, von einer 75-%-Quote ganz zu schweigen.
Es war allerdings eine Russin, die mir in meinen sowjetischen Studentenjahren eine ueberraschende Lehre erteilt hat. Irina Rodnina, mit ihren drei Olympiagoldmedaillen und zehn Weltmeistertiteln die erfolgreichste Eiskunstlaeuferin aller Zeiten, hatte es bekanntlich nicht immer leicht. Einmal holte sie sich bei einem Sturz vor dem Finale eine Gehirnerschuetterung, in einem anderen Finale fiel die Musik aus, und die Rodnina musste mit ihrem Partner ohne Begleitung weiterlaufen, irgenwann verliebte sich der Partner in eine Konkurrentin und liess sie im Stich. Ich habe mich eigentlich nie fuer Eiskunstlauf interessiert, aber diese aufregenden Ereignisse sind mir nicht entgangen, und manchmal habe ich das sogar an unserem Fernseher im Wohnheim von Voronesch verfolgt.
Ich weiss nicht mehr, in welchem Wettkampf es beinahe doch zur Katastrophe gekommen waere: Ihr Partner, ich glaube, Saizev, stolperte im letzten Moment vor einem neuen, erwarteten Triumph. Keine Frage fuer den Zuschauer, diesmal war das Spiel verloren. Und dann die allgemeine Ueberraschung: Fast alle Kampfrichter stimmten fuer eine 6.0 oder knapp drunter, und das Paar hatte wieder gewonnen. Natuerlich gab es Aufruhr unter der Konkurrenz, und am Ende wurden die Richter von vorwurfsvollen Journalisten gefragt, ob sie den Patzer von Zaitsev nicht gesehen haetten. Sie haetten nicht, war die Antwort der Richter, ihre Aufmerksamkeit haette ganz und gar Rodnina gehoert.
Ich erkannte unschwer die lehrreiche Symbolik der Geschichte: Erfolg stellt sich in einer Beziehung ein, wo es dem weiblichen Part gelingt, ueberzeugend die Schwaechen des maennlichen zu vertuschen. Eine ironische aber sofort einleuchtende Interpretation der Rolle der Frau. Damals wie heute, in Dubai, Berlin, Moskau.
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