Die toten Augen sehen alles. Führer-Monumente im Sozialismus
Künstler als Werkzeuge
Der politische Totalitarismus des 20. Jahrhunderts hat sein Repertoire nicht selten der Selbstinszenierung den Techniken und Ideen der künstlerischen und intellektuellen Avantgarde der Moderne zu verdanken. So wurde die Kultur des italienischen Faschismus maßgeblich durch den Futurismus geprägt, während die revolutionäre Phase Sowjetrusslands (und der kommunistischen Internationale) stark vom Konstruktivismus beeinflusst worden ist.
Vor allem die Diktatoren des ersten Drittels dieses Jahrhunderts in Europa sonnten sich gerne in der Aureole des ästhetischen Genies und bedienten sich der Künste, um sowohl sich selbst zu einem überzeitlichen Herrscher zu erheben als auch die Massen als Komparsen dieser Herrschaft zu inszenieren. Der sich verkannt fühlende Kunstmaler Adolf Hitler zum Beispiel hat es in der Manipulation der Künste und ihrer Protagonisten weit gebracht. Josef Stalin mag ihn noch übertroffen haben, er verkörpert vermutlich den Diktator als Künstler in seiner virtuosesten Form.
Im Grunde ist bildnerische Kunst, die in einer Diktatur wirkt und einen Diktator zum Gegenstand hat, immer dessen Selbstdarstellung. Das Denkmal eines Herrschers wird kaum ohne dessen Kenntnis entworfen. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass die Darstellung stets unter seinem unmittelbaren Einfluss entsteht. Der Künstler ist insofern tatsächlich nichts anderes als ein mehr oder minder williges Werkzeug. Wir erinnern uns nur selten an seinen Namen. Was zählt, ist die Rolle des Diktators selbst. Er ist nicht einfach das Objekt, er ist auch der Darsteller.
Dies mag der moderne Diktator allgemein mit anderen Gewaltherrschern gemein haben. Doch Palastkunst (wie sie die Vergangenheit bis zum Aufkommen der Moderne kennt) und öffentliche Kunst unterscheiden sich grundsätzlich. Vor allem durch ihr Publikum. Wurde jene ausschließlich einer ausgesuchten Elite zur Schau gestellt, muss sich diese gegenüber der gesamten Gesellschaft behaupten.
Der öffentliche Raum, wie eingeschränkt auch immer sein öffentlicher Charakter in einem bestimmten politischen System sein mag, er ist der Ort, an dem die Gesellschaft sich selbst begegnet. Kunst im öffentlichen Raum gibt es, seit es den öffentlichen Raum gibt. Doch haben nicht alle Zeiten und politischen Systeme das gleiche Interesse an ihr gehabt oder ähnliche Absichten mit ihr verfolgt.
Im Altertum diente die Kunst im öffentlichen Raum der Verherrlichung von Göttern, Feldherren und Herrschern, Noch dem italienischen Faschismus und den deutschen Nationalsozialismus lieferte sie Referenzen. Hingegen sind in Venedig die Dogen und in Rom die Päpste eher auf Gemälden verewigt worden, obwohl zur selben Zeit Bildhauer wie Michelangelo und Donatello für die Renaissancestädte Italiens viele der bedeutendsten Kunstwerke geschaffen haben.
Oft hatten in der Öffentlichkeit ausgestellte Kunstwerke eher mythologischen, selten politischen Bezug. Machthaber der Renaissance wollten sich offenbar nicht ungeschützt der öffentlichen Meinung ausgesetzt sehen.
Griechische und römische Porträtkunst haben zwar bereits seit dem 18. Jahrhundert in feudale und bürgerliche Haushalte Einzug gehalten, zunächst jedoch ohne unmittelbare Vorbildwirkung auf die Repräsentation von Macht. Man sammelte die Kunst als Kunst, als historische Rarität, und so blieb die Sichtbarkeit dieser Kunst in der Regel auf die Privatsphäre ihrer Eigentümer beschränkt.
Auch im aufkommenden Kapitalismus hielt sich die Begeisterung für politische Monumentalisierung in Grenzen. Bei der Neuordnung von Paris in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden keine Denkmäler für den damals manchmal abgöttisch verehrten Napoleon vorgesehen, obwohl riesige öffentliche Schneisen in den Stadtkörper von Paris geschlagen wurden. London verewigte zwar Lord Nelson am Trafalgar, doch verzichtete man auf Denkmäler für Victoria, Elizabeth oder andere gekrönte Häupter. Den notorischen Lincoln-Büsten zum Trotz bedienen auch Straßen und Plätze amerikanischer Städte selten eine personifizierte Erinnerungskultur.
In der modernen Stadt kam es nicht automatisch zur epidemischen Manifestation von politischer Macht durch öffentliche Selbstporträts dieser Macht. Erst die Kombination aus dem Projekt der künstlerischen Moderne und politischer Diktatur bot einen fruchtbaren Boden für die massenhafte Verbreitung von Monumenten lebender Herrscher oder solcher, für die nach ihrem Tod ein symbolisches Leben im öffentlichen Raum vorgesehen war.
Der Diktator auf dem Sockel
Laut Theodor W. Adorno ist Kitsch ein unauflösliches Amalgam zwischen dem Schönen und dem Hässlichen. Aus dieser Perspektive ließe sich das gigantische Depot von Monumenten, das die Diktatoren des 20. Jahrhunderts hinterlassen haben und das ihre Nachfahren heute weiter auffüllen, als ein Museum des Polit-Kitsches betrachten. In Moskau hat man übrigens tatsächlich ein solches Depot eingerichtet und ausrangierte Denkmäler von Lenin, Stalin und anderen in einem Park aufgestellt.
Der öffentliche Raum einer politischen Diktatur und ein Museum ähneln sich. An beiden Orten gelten die Gesetze der Selektion von Signifikanz und der Kontrolle über den Diskurs. Eine Autorität – hier die politische Macht, dort die kuratorische – entscheidet darüber, was gezeigt wird und was nicht. Und vor allem wie gezeigt wird, was gezeigt wird. Jedoch sind sowohl das Museum als auch der öffentliche Raum seit dem Beginn der Moderne einer radikalen Umwälzung unterzogen worden, und in diesem Prozess haben sie sich gegenseitig stark durchdrungen.
Der Maler und Objektkünstler Marcel Duchamp postulierte vor hundert Jahren, dass sich im Grunde jeder Gegenstand als Objekt der Kunst eignet. Nicht nur ist Kunst eine Ware, sondern Waren können auch Kunst sein. Mit Duchamp hat seitdem eine massive Inbesitznahme der öffentlichen Domäne durch die Kunst stattgefunden, auch durch an sich kunstfremde Gegenstände, die zur Kunst stilisiert worden sind. Die Mauern des Museums wurden niedergerissen. Parks und Boulevards, Hotelrezeptionen, Fabrikhallen und Bankenfoyers sind zu potentiellen Ausstellungsräumen geworden.
Eine ähnliche Karriere erlebte die plastische Präsenz des Diktators in allen erdenklichen pseudo-öffentlichen Räume seines Herrschaftsgebietes: Stalin, Lenin, Mao und ihresgleichen grüßten aus Bahnhofshallen und von den Straßen und Plätzen nahezu aller Städte innerhalb ihres Machtbereichs. Man könnte sagen, dass sich die Inflation des Führerkultus in den kommunistischen Städten und Ländern von Ost-Berlin bis Pjöngjang, von Rumänien bis Kuba zur gleichen Zeit vollzogen hat, in der die Städte der westlichen Demokratien die öffentliche Kunst für sich entdeckten. Der Siegeszug der öffentlichen Kunst ist mit ihrem Potenzial begründet worden, den kommerziellen Wert der Stadt zu heben. Doch woher das spezielle Interesse von Diktaturen an einer Inbesitznahme öffentlicher Räume durch Skulpturen und Monumente?
Kunstwerke des öffentlichen Raumes lassen sich allgemein als Installationen betrachten. Handelt es sich um eine Herrscherfigur, dann artikuliert sie unmittelbar einen politischen, in der Regel repressiven Willen. Eine scheinbar triviale Wirkungsmechanik kommt in Gang. Die toten Augen Maos sehen alles, der ausgestreckte Bronzearm Lenins greift unwillkürlich nach uns. Der Herrscher ist über und mit uns. Seine Anwesenheit lenkt die soziale Kommunikation automatisch auf ihn hin und sorgt dafür, dass eine Verständigung innerhalb der Gesellschaft im öffentlichen Raum ohne ihn gar nicht möglich ist. Der öffentliche Raum wird durch die nachgebildete Anwesenheit des Herrschers zu einer Kontrollzone, in der sowohl das Verhältnis des Einzelnen als auch der Masse zum Führer ausgehandelt wird. Nicht immer sind sich der Einzelne und die Masse dieser Polarisierung bewusst. Die tägliche Drill in diesen Kommunikation führt zu einer Geläufigkeit. Das mildert den Eindruck der Obsession, die ihr in Wahrheit innewohnt.
Der atheistische Totalitarismus mit seiner naturgemäßen Ablehnung der traditionellen sakralen Orte hat mit dem Führerkultus eine neue pseudoreligiöse Öffentlichkeit herzustellen versucht. Nicht selten ist traditionelle Heiligen- und Heldenverehrung unmittelbar durch die Verehrung des Führers abgelöst worden.
Die Sowjetunion hat es aus naheliegenden Gründen zu einer beispiellosen Blüte der Führerikonografie gebracht. Immerhin hatten Lenin oder Stalin eine Mission zu erfüllen, die sich in mehreren Generationen und auf der gesamten Welt erfüllen sollte. Eine solche Mission verlangte nach einer dauerhaften, überzeitlichen Präsenz ihrer Träger. Obwohl sich die Aura des Weltrevolutionärs auch durch die aufkommenden Medien von Fotografie und Film übertragen ließ, schienen Denkmäler besonders attraktiv zu sein. Es mag dafür mehrere Gründe geben, die unter anderem auch mit der traditionellen Kultur eines Landes, in diesem Falle Russlands, zusammenhängen. Wichtig scheint ein technischer Aspekt zu sein. Das Denkmal bedarf im Gegensatz zu seinen modernen Konkurrenten keiner weiteren Übersetzung, keiner Apparatur zum Senden oder Empfangen von Botschaften. Die Botschaft ist der Körper selbst. Hinzu kommt, dass technisch gestützte Medien einen individuellen Konsum befördern, der nicht unbedingt im Sinne der herrschenden Ideologie war. Allen Wochenschauen zum Trotz trug das Radio (und später erst recht das Fernsehen) auch in kommunistischen Staaten zu einer massiven Privatisierung und Verbürgerlichung der öffentlichen Meinung bei. Das Denkmal hingegen bezog im Rampenlicht der Gesellschaft Posten.
Sozialistischer Realismus und Massenkultur
Etwa zeitgleich mit Duchamp entwickelte der russische Konstruktivismus ein neues ästhetisches Konzept. Auch sowjetische Künstler wie der Dichter Wladimir Majakowski oder der Maler und Architekt El Lissitzky erstrebten eine Umwertung von Werten, durch welche die Ausdrucksformen und Produkte des Alltäglichen in den Kunstkontext rückten. Dem elitären Kulturbegriff der Tradition wurde der revolutionäre Begriff der Massenkultur entgegengestellt. Als der Konstruktivismus unter Stalin in den frühen dreißiger Jahre schließlich abgelehnt und gleichgeschaltet wurde, hatte sich die Umwertung bereits so weit vollzogen, dass sich auch der nachfolgende sozialistische Realismus der Kommunikationstechniken der Massenkultur bediente. Insbesondere machten sich die sowjetische und später die kommunistische Propaganda in den sogenannten Volksdemokratien jene Medialität zu eigen, welche der Massenkunst innewohnt. Ihr liegt die Erkenntnis zugrunde, dass sich Kunstwerke vervielfältigen und verbreiten lassen, ohne dass sie an Wert verlieren.
Das von Walter Benjamin beschriebene Phänomen, dass sich im Augenblick, da Kunstwerke technisch reproduzierbar werden, Original und Kunstwerk nicht mehr unterscheiden lassen, ließe sich auch auf die öffentliche Monumentalisierung von politischen Führern anwenden. Die immense Fülle an Bildreproduktionen, die Lenin, Stalin, Ceausescu oder Kim Il Sung erfahren haben, legt den Schluss nahe, dass das Original von der Flut der Kopien allmählich aufgesogen worden ist. Der Führer war überall und nirgends. Das löste in Millionen von Gehirnen die Produktion von Psychokopien des Führers aus. Es gibt Zeitdokumente, wo Menschen Träume und Visionen beschreiben, in denen ihnen der Diktator erscheint.
Die physische Reproduktion des Führers im öffentlichen Raum verleiht ihm eine Wirklichkeit, die sich durch entmaterialisierte Medien nicht herstellen lässt. Dabei geht es nicht unbedingt um körperliche Authentizität. Im Gegenteil, die Kopie des Führers muss den ideologischen Körper herstellen, nicht den biologischen. Insofern spielen Proportionen, Haltungen, Gesten, Materialien und natürlich Standorte der Denkmäler eine entscheidende Rolle für die jeweilige Botschaft, die sich mit dem Monument verbindet. Dank seiner physischen Anwesenheit auf den Straßen und Plätzen erhält das Bild des Machthabers eine Nachdrücklichkeit, der sich niemand – bewusst oder unbewusst – entziehen kann.
Die Praxis der Implantierung von Führer-Reproduktionen in die überwachte Mitte der totalitären Gesellschaft ist unter den Diktatoren-Generationen bis in die Gegenwart weitergegeben worden. Zweifelsohne hat der technologische Fortschritt im Verlaufe des 20. Jahrhunderts neue, suggestive Medien hervorgebracht, die in subtileren Formen öffentliche Materialität herstellen. Beispiele wie Michael Jackson oder der Hacker Aaron Swartz zeigen, dass das Phänomen des Kults um Personen sich keinesfalls auf die politische Diktatur beschränkt, sondern auch Bestandteil popkultureller Kommerzprozeduren geworden ist.
Dennoch ist zu vermuten, dass dem Diktator der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts die Rolle eines unfreiwilligen Avantgardisten zufiel. Josef Stalin und mit ihm viele seiner Nachahmer haben sich den öffentlichen Raum zu einer Art Führer-Kunsthalle umfunktioniert, in dem sie mit ihrer eigenen Medialität, deren Reproduktivität und damit Überlebensfähigkeit experimentiert haben. Die totalitäre Gesellschaft war und ist ein pervertiertes Labor der Moderne, wo die Umwertung sozialer wie kultureller Werte dem Ziel dient, den Führer unsterblich zu machen.
Michel Foucault hat in einer späten Auslassung zu seiner Arbeit „Sexualität und Wahrheit“ den Begriff der Technologie des Selbst eingeführt. Darunter sind „gewusste und gewollte Praktiken zu verstehen, mit denen die Menschen […] sich selber transformieren […] und aus ihrem Leben ein Werk zu machen suchen, das gewisse ästhetische Werte trägt.“ In diesem Sinne lässt sich der klassische Diktator des 20. Jahrhunderts, dessen nicht minder grotesken Nachgeburten wir heute in Nordkorea oder Turkmenistan begegnen, als radikaler Avantgardist begreifen, der keine noch so finstere Methode scheut, um aus seinem Leben ein Werk zu machen, das ästhetische Züge trägt.
Erschienen in „Oh Du, geliebter Fuehrer“, C. Links Verlag 2013.