Zu Hause bei Zaki Nusseibeh
Zaki Nusseibeh begruesst mich auf seinem Landsitz in der Wuestenstadt Al Ain in seiner gewohnt jovialen Art. Man kann ihn sich, ganz gleich, ob er einen Staatspraesidenten in dessen Residenz oder eine Freundin auf einer privaten Geburtstagsparty begruesst, nur als den freundlichen mittelgrossen Herrn Anfang Sechzig mit schuetterem Haar und lebendigen, neugierigen Augen vorstellen, der mich gleich am Arm nimmt und zu einer Art Kunstinstallation fuehrt: Es handelt sich um eine schwarze Saeule, an der Dutzende von Schluesseln haengen. Die Installation ist das Geschenk einer Galeristin aus Dubai, die weiss, dass Zaki aus einer der aeltesten Familien Palaestinas stammt. Die Nusseibehs bekamen im 7. Jahrhundert, nachdem die Moslems in Jerusalem die Macht uebernommen hatten, vom herrschenden Sultan den Auftrag uebertragen, die Schluessel fuer das Heilige Grab aufzubewahren.
Nach seinem Studium in Cambridge hatte 1967 der Sechstagekrieg eine Rueckkehr zu seiner Familie nach Jerusalem unmeoglich gemacht. Sein Vater, damals Diplomat in jordanischen Diensten, riet ihm, nach Abu Dhabi zu gehen, wo ein Jahr zuvor Scheich Zayed die Macht uebernommen und angekuendigt hatte, Abu Dhabi zu einem modernen Land machen zu wollen. Abu Dhabi hatte damals ein einziges Hotel mit Klimaanlage, und dort traf man am Abend die wenigen Auslaender, die in das Emirat kamen. In erster Linie waren das Manager aus der Oelindustrie und Journalisten. Nusseibeh liess sich von westlichen Zeitungen als Verbindungsmann engagieren und schrieb seine ersten Artikel und Nachrichten fuer Financial Times und Reuters. Nach ein paar Wochen half einer der BBC, ein Gespraech mit Scheich Zayed zu fuehren. Danach wurde er der Uebersetzer des Herrschers. Nur wenige Menschen sind an der politischen Entstehung der Emirate so dicht dran gewesen wie Zaki.
Heute ist er, wie er nicht muede wird zu betonen, „nur“ noch Berater des Praesidenten Khalifa. Und Vizepäsident der Abu Dhabi Authority for Culture and Heritage. Ausserdem beraet er die Regierung für den Culture District auf Sadiyat Island, jener Insel, fuer die unter anderem Jean Nouvel einen Museumskomplex fuer den Louvre, Frank Gehry eine neue Guggenheimfiliale und Zaha Hadid ein Theater mit 6.500 Plaetzen entworfen haben.
Richtig zu Hause ist Nusseibeh erst in seiner Bibliothek. Linkerhand ein grosser Schreibtisch, dahinter an der Wand ein persischer Seidenteppich mit einer Sure aus dem Koran. Vor den Buechern stehen Fotografien, die Nusseibeh und Scheich Zayed mit so ziemlich allen wichtigen Politikgroessen der letzten zwanzig Jahre zeigen: mit Jimmy Carter und Romano Prodi, dem japanischen Kaiser und Nelson Mandela. Er hat sie alle getroffen: Idi Amin, Condoleezza Rice, Jacques Chirac. In einer Nische stehen drei Fotos nebeneinander: links Zaki mit Benazir Bhuttos Vater Zulfikar Ali, rechts mit dessen Moerder, in der Mitte mit Benazir Bhutto selbst. Sie habe ihn (Nusseibeh) noch vierzehn Tage besucht und die Fotos signiert, bevor sie die Emirate Richtung Pakistan verlassen habe, fuer immer. Auf einem prominent im Vorraum aufgestellten Tisch sind die wahrscheinlich fuer Nusseibeh wichtigsten Begegnungen aufbewahrt: zweimal mit der englischen Koenigin Elizabeth II, mit Diana und Charles. Schroeder und Clinton stehen in der ersten Reihe, Bush in der zweiten. Das habe aber nichts mit politischen Vorlieben zu tun, sagt er mit einem undurchdringlichen Laecheln.
Er zeigt mir durchs Fenster draussen im Garten eine Sandsteinplastik mit den Waelsungen Sigmund und Sieglinde, die sich gerade einer inzestuoesen Umarmung hingeben. Die Figuren hat er einmal in Bayreuth erworben, wo er jedes Jahr als Mitglied der Wagnergesellschaft zum Gruenen Huegel pilgert. Bayreuth und Salzburg seinen fuer ihn die wichtigsten Sommertermine, dann kaemen Aix und Avignon. Zayed habe ihn jeden Sommer mit nach Europa mitgenommen, und weil er nicht viel in diesen Monaten gebraucht worden sei, habe er Europa kennengelernt und vor allem Frankreich, Oesterreich und Deutschland immer wieder besucht. Europa sei fuer ihn der Ursprung der modernen Zivilisation. Die Renaissance, die Sprachen, die Musik. Wir sprechen ueber Richard Wagner, ueber seinen miesen Charakter, sein Genie. Die Zeit sei jetzt reif fuer eine Auffuehrung der Goetterdaemmerung in den Emiraten, glaubt Nusseibeh. Die Leute hier werden das als Mythologie genießen, man muesse jetzt damit anfangen, diesen Reichtum von Europa auch am Golf fuer jedermann zugaenglich zu machen. Und er weiss, er ist da einer Meinung mit der herrschenden Familie.
Nein, es ginge nicht um Tourismus, sondern um den Aufbau einer Kulturgesellschaft, beteuert Zaki. Die Vereinigten Arabischen Emirate haetten innerhalb einer Generation den Sprung aus dem Mittelaler in die moderne Zivilisation des 21. Jahrhunderts geschafft. Es sei hoechste Zeit, auf Tourismus, Industrie und Handel Kultur und Bildung folgen zu lassen, denn dies sei die zentrale Vision der neuen Generation in der Herrscherfamilie, des Praesidenten wie des Kronprinzen. Zaki weiss, wovon er spricht. Er zeigt mir seine Lieblingsbuecher ueber klassische Musik, die italienische Renaissance, die franzoesischen Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts, von Avveroes, Razi, Avicenna und anderen grossen Denkern aus der Zeit, als Arabien eine der bedeutendsten Zivilisationen besass und Europa noch im Dunkel des Mittelalters vor sich hindaemmerte Es sei wichtig, dass unsere beiden Zivilisationen, die soviel zur Entwicklung der Menschheit beigetragen haben, wieder zusammen kommen, nicht in Konfrontation, sondern um die Entwicklung der Menschheit produktiv fortzusetzen.