ZHdK Lectures on Global Culture: Dubai
Im letzten Kapitel haben wir damit begonnen, die ungewoehnliche Stadt der Extreme, Dubai, als ein Labor kultureller Globalisierung zu skizzieren. Ungeachtet sozialpolitischer Defizite, die in diesem Emirat am Arabischen Golf zu beobachten sind, ist eine Alternative zu den fundamentalislamistischen Nachbarn entstanden.
Die wohl eklatanteste Eigenschaft des Phaenomens Dubai ist das Tempo, mit dem die Stadt sich von einem verschlafenen Hafennest am Arabischen Golf mit einer kaum mehr als lokal zu nennenden Reichweite an Perlenfischerei zu einer globalen Metropole gewandelt hat. Mit anscheinend selbstverzehrender Hast jagt die staedtische Gesellschaft durch wirtschaftliche Experimente, soziale Netzwerke und Szenarien potentieller kultureller Idenitaet. Strategien werden entworfen, um neuen Strategien zu weichen. Heute werden Ziele gesetzt, die morgen schon Geschichte sind. Dieses Tempo fuehrt zu starken Fluktuationen. Politische oder oekonomische Entscheidungen basieren zuweilen auf einer ungenuegenden Kenntnis der Situation. Dubai ist ein wenig wie der Anfaenger hinter dem Steuer eines Ferraris, der mit Vollgas ueber die Ueberholspur rast.
Allerdings waere jeder erfahrene Autofahrer unter den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen von Dubai ein Anfaenger.
Diese Folie zeigt den Masterplan der Stadt, wie er im Jahr 2008 ausgesehen hat. Das Jahr 2008 markiert vermutlich den bisherigen Hoehepunkt von Dubais Beschleunigung durch die urbane Geschichte. Am Ende jenes Jahres sollte die Finanzkrise dem „Dubai Speed“ ein vorlaeufiges Ende setzen.
Diese Karte hier widerspiegelt jedoch noch den ungezuegelten Expansionswillen seiner Planer. Bei den gelb markierten Flaechen handelt es sich um Bauprojekte, die damals entweder noch in Entwicklung, oder noch gar nicht begonnen waren. Zugleich laesst sich erkennen, wie sich der Koerper der neuen Stadt entlang der Kuestenlinie und tief in die Wueste hinein massiv ausgebreitet hat. Unten links ist jener Ausschnitt abgebildet, den das staedtische Territorium von Dubai vor dem Boom seit den Siebzigerjahren ausmachte: ein bescheidenes Stueck Land im Vergleich zu heute.
Hier der Ausschnitt in Grossformat. In der Mitte dieser Karte sehen wir eine natuerliche Anomalie des Kuestenverlaufs, eine ca zwanzig Kilometer tief in die Duenen einschneidende Bucht. Dort, an er Muendung der Bucht, hat die Geschichte Dubais vor ungefaehr 200 Jahren begonnen. Die Emiraties nennen sie KHOR, was so viel wie „die Bucht“ auf Arabisch heisst.
An diesem Ort hat die bereits damals herrschende Beduinenfamilie Makhtoum eine bescheidene Festung errichten lassen. Der Scheich warb iranische Siedler, sich an der Muendung des Khor niederzulassen, Haeuser zu bauen und einen Hafen anzulegen. Man koennte sagen, bereits die Grundsteinlegung der Stadt beruhte auf dem Konzept der Einwanderung von tatkraeftigen Menschen.
Insofern darf es nicht verwundern, dass die urspruengliche Architektur der Stadt persischer Herkunft ist. Diese Ansichten von Dubai koennten auch von der anderen, der iranischen Seite des Golfs stammen. Es ist also schwierig, in dieser Stadt von einer authentischen Architektur zu sprechen, denn bereits die fruehesten Gebauedeentwuerfe, insbesondere die zu Klimazwecken errichteten Windtuerme, waren aus dem viel weiter entwickelten Nachbarland importiert worden.
Mit dem Oel kam die Hochgeschwindigkeit nach Dubai. Die folgende Fotosequenz veranschaulicht diesen Vorgang.
Wir sehen hier die Sheikh Zayed Road, heute so etwas wie die Champs Elysée des Mittleren Ostens, in den kargen Anfaengen der Siebzigerjahre.
Zwanzig Jahre spaeter sah es dort ungefaehr so aus, und weitere fuenf Jahre darauf, in 2010, hatte der Betrachter diese Ansicht.
Diese Skyline, mit dem hoechsten Gebaeude der Welt, dem Burj Chalifa, im Vordergrund, symbolisiert den ultimativen Anspruch Dubais, zu den Weltmetropolen des 21. Jahrhunderts zu gehoeren.
Doch wie sieht diese Geschichte fuer die Menschen aus, die im Furor der Globalisierung leben und arbeiten? Vor allem fuer jene, die hier geboren wurden und voraussichtlich auf immer bleiben wuerden? Die Emiraties der aelteren und mittleren Generation sind oft noch barfuss in die Grundschule gegangen und hatten zu Hause kein fliessendes Wasser. Viele von ihnen sind in einer solchen Umgebung aufgewachsen und sind heute mit dieser Wohnsituation konfrontiert. Die Haendler- und Fischergenerationen der Vergangenheit haben ihre Geschaefte im Khor Dubai abgewickelt, wie auf diesem Foto zu sehen, waehrend die Gegenwart ein gigantischer globaler Supermarkt ist.
Hinzu kommt, dass die Emiraties inzwischen eine kleine Minderheit bilden und mit einer Mehrheit internationaler Einwanderer, Geschaeftsleute und Touristen zusammenleben. Diese fremden Menschen, ganz gleich, ob Niedriglohnempfaenger oder Superreiche, sind ein internationales Milieu gewohnt, fremde Sprachen und Sitten. Sie kommen oft aus den grossen Laendern des Westens oder Asiens, ausgestattet mit einem kompakten Ruestzeug kultureller Identitaet. Die Einwanderer aus dem Westen, aber auch aus Indien oder China haben laengst ihre Kunst und Kultur nach Dubai nachgezogen. Klassische Konzerte, iranische Popveranstaltungen, pakistanischen Hip-Hop, Opern- und Ballettauffuehrungen, Ausstellungen und Auktionen. Hindutempel und Kirchen. Selbst Kunst- und Buchmessen sind keine Seltenheit mehr. Viele dieser Aktivitaeten haben die Auslaender selbst initiiert.
Die emiratische Landeskultur der Beduinen hingegen ist, vom Pferde- und Kamelrennen sowie der Falknerei abgesehen, in den Jahren des Booms und der Internationalisierung Dubais zu kurz gekommen. Bis vor wenigen Jahren gab es in den Schulen der Region keine Kunsterziehung, Musikspielen galt als verpoent, ebenso die bildende Kunst.
Erst die junge Generation von heute bekommt die Gelegenheit, sich mit Kunst zu beschaeftigen. Natuerlich haben sie – auch dank der Einfluesse der allgegenwaertigen Popkultur und des Internets – grosses Interesse an der westlichen Kultur. Viele von ihnen sprechen haeufiger und besser Englisch als Arabisch und kennen London oder Paris besser als die Staedte ihrer Region.
Wie wir an anderer Stelle bereits ausgefuehrt haben, veranschaulichen die neuen Staedte des 21. Jahrhunderts mit ihrem Laborcharakter die Konfliktpotentiale und Widersprueche zwischen lokaler und globaler Kultur in radikaler Offenheit. Bekanntlich werden auch in den Staedten der traditionellen Hochkulturlaender seit einiger Zeit Anstrengungen unternommen, um einen Ausgleich zwischen dem wachsenden globalen Angebot und dem der einheimischen Kultur zu finden. Der Westen erlebt die Globalisierung der Kultur vielleicht sanfter, aber sie findet statt. Auch in Deutschland oder Frankreich ist die englische Sprache zu einem zentralen Kommunikationsmittel geworden, das Interesse an fremden Staedten oft groesser als an der Heimatkultur, dominieren Hollywood, Walt Disney oder Harry Potter den Markt der Kuenste.
Dubai ist also eine krasse Zuspitzung, aber keine Anomalie. Inzwischen haben auch Emiraties der jungen Generation damit begonnen, ihr Verhaeltnis zur eigenen Kultur zu ueberdenken. Moderne Kunst, sagen sie, ist wichtig, aber vor alllem moderne islamische Kunst. Die Stadt beginnt zu entdecken, dass es bereits seit einiger Zeit talentierte Kuenstler gibt, die bislang kaum wahrgenommen worden waren, eine lebendige Theaterszene, die vorlaeufig im Tohuwabo der globalen Veranstaltungskalender ein Schattendasein gefristet hat. Einheimischen Intellektuellen wird allmaehlich die Verantwortung bewusst, die sie bei der Umgestaltung Dubais in eine kosmopolitische Stadt haben. Diese wollen sie nicht allein der Regierung ueberlassen. Kritische Medienforen sind entstanden, Quartierzentren, eine Galerienszene, in der sich die einheimische und islamische Kunst ihre ersten Plattformen schafft.
Wie wichtig die Gestaltung einer kulturellen Identitaet ist, zeigt sich in Zeiten der Krise. Der weltweite Boersenkrach vom September 2008 stellt in der Geschichte der Stadt einen Wendepunkt dar. Dubai, exponiert auf den Weltmaerkten und abhaengig von internationalem Kapital, wurde von einer brutalen Wirtschaftskrise heimgesucht. Zum Teil war diese auch hausgemacht, denn der Immobilienmarkt hatte in den Jahren zuvor eine gigantische Blase hervorgetrieben. Nachdem die Stadt der „Droge“ Erdoel erfolgreich abgeschworen hatte, schien sie nun in die Abhaengigkeit der Immobilienspekulation geraten zu sein. Diese Aufnahmen stammen von Dubais beruehmter „Palme“, der kuenstlichen Archipel-Wohnlandschaft vor der Kueste der Stadt. Sie illustrieren, dass auch eine Wirtschaftskrise wie eine Naturkatstrophe ueber eine Stadt hereinbrechen kann.
Viele der internationalen Nomaden haben in der Zeit nach 2008, den Jahren der wirtschaftlichen Flaute, Dubai den Ruecken gekehrt. Andere, die geblieben sind, mussten erfahren, dass man auch in Dubai arbeits- oder sogar obdachlos werden kann. Die Stadt war ploetzlich mit unbekannten sozialen Herausforderungen konfrontiert. Konservative emiratische Kreise wuenschten halblaut eine Rueckkehr zur muslimischen Gesellschaft.
Waehrend die Wirtschaftsdaten der frueheren Jahre astronomisches Wachstum signalisierten, sieht die Gegenwart eher moderat aus. Doch scheint die eigentliche Krise ueberwunden zu sein. Die Stadt hat sich gefangen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Dieser Eindruck stellt sich ebenfalls bei einem Rundgang ein. Down Town Dubai, mit seinen Malls, Hochhaeusern, der Metro und einer globalen Einwohnerschaft, ist laengst ein Narrativ fuer die Stadt des 21. Jahrhunderts geworden. Und nicht alles glaenzt in Dubai. Maerkte, oeffentliche Raeume und Lesecafés sind entstanden, ein Mix aus orientalischer und westlicher oeffentlicher Kultur, die der demografischen Realitaet der Stadt auf der Spur ist.
Das Tempo hat nachgelasssen und ist einer gewissen Normalisierung des Lebens gewichen, die vermutlich notwendig ist dafuer, dass eine Stadt zu sich selbst findet. Insbesondere fuer die sich nach sozialer Sicherheit sehnenden arabischen Laender des Mittleren Ostens ist Dubai ein Sehnsuchtsort geworden, eine anscheinend verlaessliche Alternative zu Fundamentalismus und Diktatur.
Die Stadt wird trotzdem auch in Zukunft die Geister scheiden. Sie ist voller Widersprueche und Provokationen. Eine Frontlinie der Globalisierung. Ein fuer die einen erschuetterndes, fuer die anderen faszinierendes Beispiel globaler Kultur.