Michael Schindhelm | DAS UNBEHAGEN AN DER KULTUR

Das Unbehagen an der Kultur

Was ist eigentlich globale Kultur?  Gewiss handelt es sich dabei nicht um eine ausschließlich geografische Erweiterung des Kulturbegriffs. Gewissermaßen nach dem Motto: Früher hatten wir Heimatkultur, dann nationale Kultur, darauf europäische Kultur, und jetzt ist der Horizont noch weiter aufgegangen, und wir haben globale Kultur.

Global meint hier nur unter anderem „die ganze Welt betreffend“. Der Duden setzt für global auch Begriffe wie grenzüberschreitend, allseitig oder umfassend. In diesem Sinne könnte man also vorläufig sagen, globale Kultur entspricht dem Eindringen der „großen“ Welt in die „kleine“ und umgekehrt. In der einen oder anderen Form, mittelbar oder unmittelbar, betrifft sie alle. Ihr Einfluss mag dabei groß oder klein sein, aus Nah oder Fern kommen, von Vielen oder Wenigen betrieben werden, schmerzlich auftreten oder nahezu spurlos vorüber gehen: Globale Kultur ereignet sich für jedermann.

Drehen wir die Zeit erst einmal zurück, um nach Ereignissen zu suchen, an denen sich globale Kultur anfangs manifestiert hat. Traditionell wird die allgemeine Globalisierung, die wir seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wachsen sehen, auch als Triebkraft hinter den parallelen kulturellen Veränderungen verstanden. Aber schon darüber, wann Globalisierung eigentlich begonnen hat, ist man sich nicht unbedingt einig. Handels- und Finanz-Imperien des ausgehenden Mittelalters wie die der Monte dei Paschi oder Fugger lassen bereits so etwas wie eine globale Strategie erkennen. Entdeckungen und Eroberungen anderer Kontinente, wie sie seit dem 14. Jahrhundert stattgefunden haben, waren immer auch Entdeckungen und Eroberungen anderer Kulturen. Die Geschichte Marco Polos in China, unter dem Titel Il Milione ein jahrhundertelanger Bestseller, regte die besitzergreifende Phantasie von Columbus und Seinesgleichen an. Die Vernetzung der Welt mittels Handel und zugleich mittels politischer, ökonomischer und kultureller Einnahme sogenannter Kolonien durch ihre Kolonisten ist vielleicht überhaupt erst intensiv in Gang gekommen, nachdem dem weltreisenden Europäer der unermessliche Reichtum einer anderen Kultur – im Falle von Marco Polo der Chinas – begreiflich wurde und er darüber zu berichten begann. Vielleicht stand also schon am Beginn dieser Vernetzung, die wir heute Globalisierung nennen, deren kulturelles Äquivalent.

Obwohl der Kolonialismus in tiefgreifender und möglicherweise für beide Seiten traumatischer Weise kulturelles Selbst- und Fremdverständnis geprägt und erschüttert hat, werden die aus diesem Verständnis hervorgegangenen Wertvorstellungen und Verhaltensmuster seit einiger Zeit von politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen überlagert und beeinflusst, die wir im engeren Sinne als jene der Globalisierung betrachten. Um diese Veränderungen und Einflüsse wird es mir heute gehen. Kulturelle Globalisierung hat natürlich nicht auf einen Schlag stattgefunden, sondern sich durch viele Ereignisse angekündigt. Stellvertretend möchte ich auf eine Fotoausstellung eingehen.

„Family of Man“ war eine Fotoausstellung, von dem Fotografen Edward Steichen kuratiert, die 1955 zum ersten mal im MoMA in New York gezeigt worden ist und darauf durch 38 Länder tourte. Aus über 2 Millionen eingesendeten Fotos wurden etwa 500 Arbeiten von 273 Profis und Amateuren ausgewählt. Die Ausstellung unternahm den Versuch einer visuellen Anthologie  von Szenen elementarer humaner Erfahrung wie Geburt, Liebe, Genuss, Krankheit, Tod und Krieg. Sie beabsichtigte sowohl den universellen Charakter dieser Erfahrung zu schildern, als auch die Rolle der Fotografie in ihrer Dokumentation darzustellen. Nach zwei Weltkriegen erschien dieses Rassen- und Staatsgrenzen überschreitende fotografische Dokument vom Menschsein als das Manifest einer damals noch jungen Pax Americana. Family of Man wurde bereits kurz nach ihrer Eröffnung als „the greatest exhibition of all time“ bezeichnet.

In seinem 1957 erschienen Band Mythologies bespricht Roland Barthes die Ausstellung. Der Band selbst beschäftigt sich mit den Mechanismen sprachlicher Manipulation, wie sie der Autor in der Alltagskultur der damaligen Zeit beobachtete. Der Mythos ist laut Barthes Diebstahl an einer Ausdrucksweise, er dreht Sinn um in Form. Er ist eine entpolitiserte Aussage. Für Barthes ist auch „The Family of Man“  eine solche entpolitisierte Aussage. Der Mythos der conditio humana bestünde hier in der Behauptung, man müsse nur tief genug graben, um festzustellen, auf dem Grund der Geschichte befinde sich die Natur. Die Aufgabe des modernen Humanismus, so Barthes weiter, sei es hingegen, den alten Betrug aufzudecken und die „Gesetzmässigkeiten“ der Natur „aufzureißen“, bis darunter die Geschichte hervortritt.

Bezogen auf Family of Man besteht der alte Betrug für Barthes darin, Tod, Geburt und andere essentielle Wesenheiten der conditio humana zu verallgemeinern und schließlich zu universalisieren. Die Fotos kreieren eine poetische Aura um Szenen des elementaren Menschseins herum. Die Poesie überhöht und verhüllt zugleich die soziale Dimension dieses Menschseins. US-amerikanische Mittelstandsfamilien und brasilianische Favelabewohner leben und sterben zwar unter denselben biologischen Gegebenheiten, aber unter drastisch unterschiedlichen Bedingungen. Die Grundaussagen poetischer Fotografie, behauptet Barthes über die kuratorische Idee von Edward Steichen, führen zu einer Rechtfertigung von sozialer Ungleichheit, denn Family of Man behauptet suggestiv, vor der Kamera seien alle, die Armen wie die Reichen, die Weissen wie die Schwarzen, gleich.

Family of Man wurde in 38 Ländern der Nachkriegszeit gezeigt und von 9 Millionen Menschen besucht. 163 der 273 ausgewählten Fotografen waren Amerikaner. Zweifelsohne war Family of Man einer der ersten massiven Kulturexporte der neuen Supermacht USA in die nichtkommunistische Nachkriegswelt und gilt daher weiterhin als ein Symbol für die Politics of Attention während des Kalten Krieges.

Der Franzose Barthes hat die Ausstellung in Paris gesehen, in der einstigen, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verarmten und in ihrer Identität verunsicherten Weltkulturhauptstadt. Die Show war zweifelsohne auch ein Indiz dafür, dass in den kommenden Jahrzehnten der französische durch einen amerikanischen Kultur-Universalismus verdrängt werden würde. Insofern möchte ich behaupten, dass Barthes‘ harsche Kritik an der Ausstellung zumindest unter anderem auf den irritierenden Eindruck zurückgeht, dass die Deutungshoheit darüber, was die conditio humana ist, plötzlich über den Atlantik gewandert war.

Die Zeit der fünfziger Jahre, das Vordringen von Hollywood, Rock&Roll und Fast Food, ist der Beginn der von den USA ausgehenden Globalisierung generell. Im Wettstreit der politischen Systeme erwiesen sich die USA nicht nur als eine stabil erfolgreiche Volkswirtschaft, sondern auch als eine Kulturmacht, die ihren Hegemonialanspruch nicht unbedingt mit staatlichen Programmen a la Goetheinstitut oder Alliance Francaise verbreitete, sondern durch kommerzielle Brands und Dienstleistungen, die seit langem ebenso wie noch heute für den langfristigen Erfolg amerikanischer Kultur stehen.

Als schließlich der Kalte Krieg 1989 mit beinahe einem Schlag entschieden war, schien nichts natürlicher als die Annahme des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, dargelegt in The End of History and The Last Man, dass sich die Welt auf eine einheitliche Weltordnung im Stile des amerikanischen Kapitalismus zubewege.

Dieser Traum war nach dem 11. Sept 2001 rasch ausgeträumt. Doch nicht nur der internationale Terrorismus hat Amerika und die Welt verändert.  Vor allem das ökonomische Gleichgewicht zwischen Ost und West hat sich dramatisch verschoben. Der Aufschwung Chinas und Indiens zu global einflussreichen Volkswirtschaften wird im Westen weiterhin überwiegend von eloquentem Alarmismus begleitet. Wir befinden uns nicht nur in einer multipolaren Welt, sondern auch in einer Phase akzelerierter Globalisierung, die nicht mehr von einer einzigen Supermacht gesteuert wird. Jimmy Carters einstiger Berater Zbigniew Brzezinski hat kürzlich in der NYT erläutert, warum die bipolare Konstellation USA-China nicht in einen globalen Krieg führen muss: Hegemonie sei schlicht unmöglich geworden. Nicht jeder teilt Brzezinskis Optimismus.

Diese multipolare Globalisierung mit ihrer Respektlosigkeit gegenüber Grenzen, Identitän und Traditionen wird oft als Bedrohung gesehen. Während man sich an eine wachsende Internationalisierung von wirtschaftlichen und politischen Prozessen längst gewöhnt hat, wird die kulturelle Globalisierung nicht nur von konservativen Strategen wie Samuel Huntington als Gefahr beurteilt. Debatten über Leitkultur in Deutschland, der Kopftuchstreit in Frankreich, das Aufkommen heftiger rechtspopulistischer Bewegungen vor allem in besonders innovativen europäischen Gesellschaften wie Dänemark, den Niederlanden oder auch der Schweiz beweisen, dass kulturelle Offenheit nicht mehr unbedingt mehrheitsfähig ist und zum Beispiel Einwanderung nicht allein mit multikultureller Toleranz bestritten werden kann.

Kulturelle Globalisierung wird nicht nur im Namen von Leitkultur, Tradition und Christentum abgelehnt, sondern auch auf der politischen Linken. Hier gilt die Ausbreitung westlicher Kulturwerte und –praktiken in anderen Weltregionen als Anzeichen für einen neün Imperialismus. Mc Donalds ist das Sinnbild für eine kapitalistische Hegemonie, die angeblich den Völkern sogar das elementarste Bedürfnis raubt, jenes nach ihren Essgewohnheiten. Zudem wird eine Konvergenz zwischen den Kulturen beobachtet, mit dem Ergebnis des Verlustes von Diversität. Die Unesco hat tatsächlich im vergangenen Jahr bekanntgegeben, dass alle zwei Wochen eine Sprache stirbt. Etwa die Hälfte der weltweit sechstausend gesprochenen Sprachen sei vom Verschwinden bedroht.

Zudem wird eine allgemeine Vermassung beobachtet, mit dramatischen Konsequenzen für die Produktion und den Konsum von Kultur. Youtube ist zum Beispiel das Produkt seiner Zuschauer. In jeder einzelnen Minute werden von ihnen derzeit weitere sechzig Stunden Filmmaterial auf die Webseite aufgeladen. Man hat ausgerechnet, dass auf Youtube in einem Monat mehr Filmstoff entsteht, als die drei großen amerikanischen Fernsehanstalten in den sechzig Jahren ihrer Geschichte hergestellt haben.

Das kulturelle Ereignis hinter dem Phänomen Youtube besteht darin, dass Produzenten und Konsumenten ständig die Rollen tauschen. Youtube-Aktivisten wollen nicht um jeden Preis mit den Profis konkurrieren, sie wollen vor allem am öffentlichen Auftritt teilhaben. Ihr Aktivismus ist nicht das Ergebnis eines Protests, sondern der Lust am Selbermachen. Wir beobachten eine Gegenkultur, die nicht dagegen, sondern dafür ist.

Die Kulturkritik diagnostiziert auch ein mangelndes Interesse an Geschichte, an Vergangenheit überhaupt. Sie sei das Resultat einer Potenzierung von Information über die Gegenwart. Heiner Müller hatte schon beobachtet, dass zum ersten Mal die Lebenden gegenüber den Toten in der Überzahl seien. Und die Weltbevölkerung wächst. Kultur, so Müller, beziehe sich aber auf die Toten. Die Frage sei also, was aus der Kultur würde. Mehrheiten interessierten sich nicht für Minderheiten.

Das alles sind Anzeichen für eine Verstehenskrise. Vertraute Verhaltens-, Entscheidungs- und Interpretationskriterien funktionieren nicht mehr. Krisen dieser Art gab es immer wieder, zum Beispiel mit dem Aufkommen der Moderne oder der amerikanischen Popkultur. Krisen stellen auch Instutionen infrage, Theorie und Praxis der Kultur. Sie enden in der Regel damit, dass sich ein neues Verständnis von Phänomenen durchsetzt, also eine neue Theorie und eine neue Praxis. Wie wir aus der Geschichte wissen, verschwinden damit nicht automatisch bisherige Theorien und Praktiken. Oft werden sie erweitert oder ergänzt.

Der Kulturarbeiter, sei er Schriftsteller oder Architekt, Musiker oder Regisseur, beginnt ein neues Projekt heute in der Regel mit einer Recherche. Ein Roman, eine Komposition oder ein Designentwurf sind mehr denn je das Ergebnis einer Erforschung. Die Stadt ist das Feld dieser Recherche oder das Labor der kulturellen Globalisierung. Die ökonomische und politische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat unsere Vorstellung von der Stadt radikal verändert. Eurozentrische oder westliche Konzepte gelten nicht mehr als verbindlich oder vorbildlich für urbane Projekte in Schwellenländern. Obwohl ortsgebunden, ist die Stadt eine international zirkulierende Ware geworden; Touristen, internationales Kapital und die sogenannte kreative Klasse der Dienstleister zu umworbenen Kunden. City-Rankings sorgen für ein mehr oder minder anerkanntes Gütesiegel von Städten. Es besteht nicht zufällig eine häufige Korrelation zwischen Ranking und Immobilienpreisen. Top-Positionen sind nicht auf lange Sicht garantiert. Auch Städte geraten in und out. Das neue Kapital, materiell oder intellektuell, kennt weder Wurzeln noch Treue. Die in den meisten Städten dominante Mehrheit von ständigen  Einwohnern entwickelt wiederum Strategien, mit denen der authentische Charakter ihrer Lebenswelt verteidigt werden soll. Die Transformation der Stadt von einem relativ homogenen Gemeinwesen zur urbanen Plattform von hoher Mobilität und geringer Integration zwingt zu einer neuen Interpretation dessen, was eine Stadt lebenswert macht.

Die Lage des Kulturforschers erinnert an die von Kinogängern, die sich zum wiederholten Mal einen Film ansehen. Sie kennen die Charaktere, die Schlüsselszenen, den Ausgang. Diesmal läuft der Film plötzlich immer schneller. Man verliert die Orientierung. Wir sehen vertraute Sequenzen, aber auch unvertraute. Wir erkennen, der Film erzählt etwas Neues. Was, wissen wir nicht. Unsere Erinnerung hilft nicht. Wir verlassen – irritiert oder fasziniert – oder beides – das Kino und stellen nun obendrein fest, der Film geht weiter. Unsere Umgebung, wir selbst spielen mit. Niemand gibt Anweisungen. Wir müssen Rolle und Dramaturgie selbst finden.

Die Produktion und der Konsum von Kunst und kulturellen Ausdrucksmitteln und –inhalten haben sich unter dem Einfluss einer wachsenden Entgrenzung, wie sie die Globalisierung darstellt, dramatisch verändert haben und weiter verändern. Man kann diese Veränderungen auch aus dem Blickwinkel zum Beispiel des technologischen Fortschritts, des modernen Urbanismus, der Soziologie betrachten. Deswegen bleiben sie doch Phänomene der kulturellen Globalisierung, denn Internet oder Stadtentwicklung sind von ihr ebenso betroffen wie das Theater oder die Glücksspielindustrie.

Besonders heftig treten Veränderungen auf, wenn sich ein Staat bzw. eine Kultur langfristig der Globalisierung verweigern und schließlich diese Verweigerung aufgeben . Sie bleiben für einige Zeit weisse Flecke auf einer Weltkarte ansonsten turbulenter Migrationen und Transformationen. China, die Golfstaaten oder Indien haben gezeigt, dass eine Öffnung gegenüber der Welt für Hunderte von Millionen Menschen das Ende materialler Armut bedeutet. Zugleich droht ihnen der Verlust ihrer eigenen Kultur durch globale (meist kommerzielle, populärkulturelle) Einflüsse. Die lokale kulturelle Situation ist mit diesen Einflüssen nicht kompatibel. Sollte einst in Nordkorea das Kim-Regime enden, wird sich diese Gesellschaft vermutlich mit rasendem Tempo einer Kulturverwandlung unterwerfen.

Die weitgehend friedliche Epoche seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand vor allem im Zeichen wachsender Mobilität. Besonders Entwicklungsländer erleben Geschwindigkeit (Speed) als halluzinatorische Erfahrung. Nationale Kulturdiplomatie verliert an Bedeutung. British Council, Goethe Institut oder Alliance Francaise haben über Jahrzehnte ein weltweites Netz von Instituten aufgebaut, die zunächst neben intensiver Sprachvermittlung auch die Organisation von kulturellem Austausch betrieben. Mit der Globalisierung hat sich dreierlei verändert:

  1. Kultureinrichtungen und Kulturschaffende aus den jeweiligen Ländern benötigen die nationalen Kulurvertretungen nicht mehr, um Kulturaustausch zu betreiben. Sie machen das jetzt selbst bzw benutzen dazu weltweit agierende Agenturen.
  2. Der transkulturelle Charakter der Kunst heute macht eine Strategie, die Kunst auf nationaler Ebene fördern will, obsolet. Viele Kunstprojekte sind von Natur her transnational und passen daher mit der Porgrammstrategie von BC etc nicht mehr zusammen.
  3. Die Verschiebung des ökonomischen Kräfteverhältnisses hat in vielen Entwicklungsländern eigene Anstrengungen herausgefordert, kulturelle Einrichtungen zu schaffen, kulturelle Bildung und Kunst zu fördern. Diese Projekte erfordern eine neue Form internationaler Zusammenarbeit. Oft werden die nationalen Kulturvertretungen dazu verwendet, den Einfluss von westlichen nationalen Akteuten (Kulturorganisationen, Universitäten, Architekturbüros) zu betreiben. Es zeigt sich aber, dass die neuen Player in den Entwicklungsländern immer öfter ihre eigenen Wege gehen und sich ihre Partner selbst suchen.

Viele Kulturunternehmen und –akteure haben ihre Aktivitäten, Dienstleistungen und Produkte über den Globus verbreitet und streben Ubiquität an. Das Phänomen kultureller Hybridisierung beschleunigt sich sowohl im traditionellen wie im virtuellen Raum. Viralität und neue Formen des interpassiven Trompe l’oeil, beides Marketingtechniken zur schnellen Verbreitung von Botschaften, sind längst in den Kanon der Kulturpproduktion eingegangen.
Globale Kultur widerspiegelt nicht unbedingt das klassische Wechselverhältnis zwischen dem Individuum und der zu gestaltenden Umwelt. Das Individuum scheint oft durch andere Akteure ersetzt zu sein, wie zum Beispiel Communities, Unternehmen, aber auch technologische Apparate oder Software.
Dennoch ist globale Kultur kein alles fressender Leviathan, der jegliche Kulturbegriffe und vor allem alle anderen Erscheinungsformen von Kultur verschlingt. Kulturelle Globalisierung ist zwar eine Herausforderung, muss aber nicht endgültig zerstörerisch wirken. Dass sich Milieus und kulturelle Beziehungen, Produktionsverhältnisse, Institutionen und Berufe ändern, ist bekanntlich nicht alles Schuld der Globalisierung. Die Transformation findet ohnehin statt, die Individuen, Communities, Technologien usw sind sowieso in Bewegung, und die globale Kultur ist Teil dieser Bewegung.

Daraus ließe sich der Schluss ziehen, dass globale Kultur Bestandteil eines dynamischen Netzwerks ist, und so würde ich den gegenwärtigen Zustand des Kulturellen auch vorläufig beschreiben. Wer im Netzwerk ist, hat den Vorteil, verschiedene Positionen und Ansichten nebeneinander zu versammeln. Das Netzwerk ist polyvalent und – im Idealfall: allseitig. Die Bewegung im Netzwerk erinnert mich an den Benjaminschen Typus des Flaneurs, der im „Hier und Jetzt“ die Wirklichkeit in ihrer Authentizität zu erleben und festzuhalten versucht. Der Kulturarbeiter im komplexen Netzwerk ist ein solcher Flaneur. Er erlebt die Panoramik der unterschiedlichen Ansichten und Aneignungen am eigenen Leib. Er sieht die Welt mit anderen Augen. Er leiht sich die Augen der anderen aus, um neu sehen zu lernen.

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